Eine Graveltour durch den Hochschwarzwald
Wasser prägt den Hochschwarzwald. Wie sehr - das haben wir mit dem Gravelbike erkundet. Auf einer ausgedehnten Bikepacking-Tour einmal quer durch die Ferienregion.
Nach ihm die Sintflut! Ein Bächle gluckert über den Weg. Hübsch, aber sollte hier eigentlich nicht sein. Der Biber war wieder aktiv! Ist er neuerdings öfter hier oben am Feldberg. Hat den Bach gestaut und die Waldwiese daneben absaufen lassen, sodass sich das Wasser nun einen anderen Weg sucht. „Da fahr‘ ich jetzt einfach durch“, sagt Line beherzt und tritt in die Pedale. Klappt wunderbar mit dem Gravelbike, dafür sind die ja gemacht.
Ja, der Biber prägt die Landschaft. Aber vor allem das Wasser prägt den Hochschwarzwald. Wasser fädelt sich durch enge Täler, hat Schluchten geschaffen und ganze Berge zernagt. Es liegt still da wie am Feldsee. Es gluckert sanft über liebliche Bergweiden. Es sprüht über Abhänge und gischtet durch zerklüfteten Fels. Und in den tiefen Wäldern quillt es leise zwischen dickem Moos hervor, wächst zu Bächen und am Ende zu mächtigen Flüssen an: Rhein und Donau werden gespeist aus den reinen Quellen des Schwarzwalds.
Kurzum: Ohne Wasser kein Hochschwarzwald. Unser Plan für eine Biketour an den letzten freien Tagen des Spätsommers steht daher ganz im Zeichen dieses Elements: Mit dem Gravelbike einmal quer durch den Hochschwarzwald, auf herrlichen Wegen von Schonach bis zum Feldberg – und zwar immer dem Wasser nach.
Graveln bedeutet Freiheit
Ist ja auch überaus attraktiv: Unterwegs immer wieder anhalten, um uns und die müden Glieder zu erfrischen. Die heißen Füße ins kühle Nass halten. Den Schweiß fortspülen. Hach. „War ein guter Plan“ seufzt Line oben auf dem Feldberggipfel und zieht die Windjacke etwas fester zu. Düstere Regenwolken wallen über den Kamm. Wir stehen mittendrin. Wasser haben wir jetzt reichlich. Leider von oben. Als wir drei Tage zuvor in Elzach die Räder aus der Bahn heben, knallt die Sonne noch ordentlich vom Himmel. Im schattigen Bergwald kurbeln wir entspannt rauf Richtung Rohrhardsberg. Kleine Steinchen knistern unter den Stollenreifen – und wir fühlen uns schon bald ganz fern der Zivilisation. Graveln bedeutet schließlich Freiheit, das Verwischen von Grenzen: auf Asphalt leicht dahingleiten oder auf einsame Waldwege abbiegen. Alles drin.
Die zerzausten Hochweiden rund um den 1.152 Meter hohen Gipfel des Rohrhardsbergs sind spätsommerlich gelb gebeizt. Wassermäßig ist der Bergkamm zwischen Rohrhardsberg und Brend etwas ganz Besonderes: Hier verläuft die europäische Wasserscheide zwischen Rhein und Donau. Oben genießen wir die weiten Blicke über die sanft gewellten Schwarzwaldkuppen. Sonst ist kaum ein Mensch unterwegs. Die Sonne wärmt uns den Pelz.
Ein paar Kilometer weiter stoppen wir an der Elzquelle im Wald zwischen Brend und Schonach. Das kleine Rinnsal wird 121 Kilometer entfernt in den Rhein münden. Der Name Elz leitet sich wohl vom keltischen Wort Altia ab‚ die Hohe, und bedeutet so viel wie „die von der Höhe kommt“ – was wir jetzt auch tun: Also ordentlich schnell ins Tal rauschen. Bis es bei der Weissenbacher Höhe schon wieder rauf geht zum nächsten Wasserhighlight des Tages: Dem Blindensee.
Er ist klein, kreisrund und liegt umgeben von dichtem Wald mitten in einem Hochmoor. Sofort zieht uns die mystische Stimmung in ihren Bann. Ganz ruhig liegt der Blindensee da. Er entstand vor über 8000 Jahren und hat weder einen richtigen Zulauf noch einen Ablauf. Obwohl: Es gibt da die alte Sage von der Kuh, die einst im Blindensee unterging und Tage später in der Donau wieder auftauchte. Wirtin Rita im Schonacher Hotel Rita, wo wir für die Nacht absteigen, lacht nur über solche Geschichten . . .
Ursprung von Europas zweitlängstem Fluss
Auch der nächste Tag steht im Zeichen des Wassers: Nachts hat es ordentlich geregnet. Nebelschwaden wabern durch den Wald. Alles trieft, überall sprießen Pilze aus dem Boden. Auf dem Höhenzug bei der Martinskapelle beginnt Europas zweitlängster Fluss seine Reise durch den Kontinent, direkt neben dem Gasthaus Kolmenhof entspringt der Donauquellfluss Breg. „Wobei sich die Furtwanger mit den Donaueschingern gefühlt schon immer streiten, wer die wahre Donauquelle hat“, sagt Kolmenhof-Wirt Christoph Dold augenzwinkernd. Uns beschäftigt im Moment eher das Wetter: Ein grantiger Nordostwind weht, vertreibt aber auch den Nebel. Die Aussicht am Brendturm ist eine Wucht. Der Blick schweift weit in alle Himmelsrichtungen: Feldberg, Schauinsland, Kandel.
Die Abfahrt ins Wildgutachtal gönnen wir uns auf Asphalt – was für ein Genuss! Über die Jahrtausende hat der Wildfluss die verschwiegene, eng gewundene Talschlucht geschaffen, die wir wieder bergauf kurbeln. Verhutzelte Schwarzwaldhäuser klammern sich an unerhört steile Bergflanken. Kaum ein Auto passt auf das Sträßchen, immer enger rücken die Felswände zusammen.
Wir machen einen Abstecher zum nahen Zweribachfall, den wir zu Fuß über einen steilen Pfad erreichen. Die Felsen sind bemoost, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft. Der Zweribach fällt hier über drei Stufen mehr als 40 Meter tief, Gischt sprüht ins Gesicht. „Das liebe ich so am Graveln,“ sagt Line: „Du kommst an Orte, die du mit dem Rennrad nie erreichen würdest.“ Ein paar Kilometer talaufwärts taucht am Straßenrand die Hexenlochmühle auf. Sie ist die einzige Mühle im Schwarzwald mit zwei Wasserrädern – und ein beliebtes Fotomotiv. 1825 wurde zuerst eine Nagelschmiede erbaut, später kam eine Sägemühle mit größerem Wasserrad hinzu, alles unter einem Dach. Die Wasserräder laufen heute noch – zu Vorführzwecken, gesägt wird nicht mehr. Seit Jahren schon ist die Hexenlochmühle eine Gaststätte.
Entlang der Wasserscheide
Uns zieht‘s weiter rauf. Erst rasten wir an der alten Quelle des längst verfallenen Oberwolflochhofs, ehe wir die steile Rampe rauf zum heutigen Tagesziel erklimmen, dem Gasthaus Engel auf dem Hochberg. In der urigen Gaststube hängen die Balken tief, das Haus stammt aus dem 18. Jahrhundert: Der Besuch auf dem Hochberg ist nicht nur eine Reise in die Hochschwarzwälder Vergangenheit, der Höhenzug hat noch eine weitere Besonderheit, erklärt Wirt Thomas Waldvogel: „Er ist eine Wasserscheide. Das Wasser läuft Richtung Süden zum Rhein und durch das Schollachtal zur Donau hin.“
Auch am Feldberg, zu dem wir am nächsten Morgen aufbrechen, floss das Wasser einst Richtung Donau, ehe es sich während der letzten Eiszeit einen neuen Weg durch die Wutachschlucht zum Rhein suchte – ein Beispiel für die unglaubliche gestalterische Kraft des Wassers! Wir schwingen uns in den Sattel. Ab in den Bergwald und rauf zum Feldberg. Wir haben schließlich noch eine Verabredung. Mit dem Biber.