Da die Kamera nur begrenzte Möglichkeiten hatte, musste Sepp Allgeier andere Quellen anzapfen: Seine Kreativität. Und die war unerschöpflich.

Der erste Skifilm der Welt

Auf dem Feldberg gedreht – in der Waschküche geschnitten – am Broadway gefeiert
01.11.2014

von Birgit-Cathrin Duval

Die Zuschauer im ausverkauften Filmtheater am Broadway in New York City halten den Atem an: Todesmutig stürzt sich ein Skifahrer über eine mächtige Schneewand in einen Abgrund. Die Kamera hält den Sprung in ästhetischen Bildern fest. Der Dokumentarfilm "Das Wunder des Schneeschuhs" aus dem Black Forest ist in den USA eine Sensation: Er begründet das Genre des Sport- und Skifilms.

Was damals, Anfang der 20er Jahre im noblen New York keiner ahnte: Der gefeierte Film, der drei Jahre lang vor stets ausverkauftem Publikum am Broadway lief, wurde mit der einfachsten Kameraausrüstung gedreht.

Freiburg, im Winter 1920. Ein paar skiverrückte Freiburger gründen die „Freiburger Berg- und Sportfilm Gesellschaft“. Die jungen Filmemacher um Arnold Fanck haben keinen Pfennig in der Tasche, aber einen großen Traum: Sie wollen einen Skifilm drehen. Das ist, zwei Jahre nach Ende des ersten Weltkrieges, keine einfache Sache. Fanck gelingt es, Filmmaterial für seine kleine Indiependent-Firma zu beschaffen. Allerdings sind die Filmrollen alles andere als perfekt: Zum Teil bestehen sie aus zusammengeflickten Filmstreifen. Manche sind belichtet oder verschleiert.

Auch die Kamera, die Fanck seinem Kameramann Sepp Allgeier in die Hand drückt, lässt zu wünschen übrig.

“Es war die primitivste und billigste und hatte nur ein Objektiv“
(Sepp Allgeier)
Szene aus dem Film "Das Wunder des Schneeschuhs"
Szene aus dem Film "Das Wunder des Schneeschuhs" © Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung

Wichtiger als die Technik sind die Hauptdarsteller. Und damit konnte Regisseur Fanck klotzen: Die Landschaft des Schwarzwalds zeigte sich diesen Winter geradezu märchenhaft verschneit und mit Dr. Ernst Baader steht ihnen einer der besten Skifahrer als Modell und Stuntman zur Verfügung. Was konnte da noch schiefgehen? Da die Kamera nur begrenzte Möglichkeiten hatte, musste Sepp Allgeier andere Quellen anzapfen: Seine Kreativität. Und die war unerschöpflich.

Sepp Allgeier erfand die GoPro seiner Zeit

Um möglichst spektakuläre Aufnahmen zu erhalten, schnallte sich Allgeier die Kamera sogar am Bein fest, fuhr neben und hinter den Skifahrern her. Er erfand sozusagen die erste GoPro-Kamera, 85 Jahre bevor die erste Action-Kamera auf den Markt kam. Wenngleich seine um einige Kilogramm schwerer und unhandlicher war. Das Prinzip war dasselbe: Möglichst spektakuläre Aufnahmen aus ungewöhnlichen Winkeln zu bekommen.  

Die Sprünge von Dr. Ernst Baader, dem legendären Wächtenspringer, der auf dem Logo des 125 Jahre Skilaufen im Schwarzwald-Jubiläums zu sehen ist, gehören zu den ersten Sequenzen, die das Team im Schwarzwald drehte.

Allgeier platzierte die Kamera direkt an der Wächte am Seebuck. Der feine Pulverschnee stiebt direkt in die Kamera als Baader zu seinem Stunt ansetzt. Für den Zuschauer entsteht so der Eindruck, mittendrin im Geschehen zu sein. Überhaupt verleihen die waghalsigen Sprünge von Ernst Baader direkt in den Abgrund zum Feldbergsee dem Film eine unglaubliche Dramatik.

Es sind die ungekrönten Höhepunkte, die dem Film „Wunder des Schneeschuhs“ Weltruhm einbringen.

Um möglichst spektakuläre Aufnahmen zu erhalten, schnallte sich Allgeier die Kamera sogar am Bein fest, fuhr neben und hinter den Skifahrern her.
Um möglichst spektakuläre Aufnahmen zu erhalten, schnallte sich Allgeier die Kamera sogar am Bein fest, fuhr neben und hinter den Skifahrern her. © Sepp Allgeier: Fotografien eines Kamerapioniers, designconcepts Verlag

Nach dem Schwarzwald sucht die Crew weitere Drehorte, unter anderem in der Schweiz auf. Fanck gelingt es, Sponsoren aufzutreiben und eine moderne Zeitlupenkamera zu beschaffen.

Über 1000 Zuschauer bei der Premiere

Fanck und Allgeier haben es geschafft: Innerhalb weniger Wochen sind alle Szenen im Kasten. Weil der Firma ein eigenes Studio fehlt, wurden die belichteten Filmrollen in der Waschküche von Fancks Villa entwickelt. Um den Eindruck entstehen zu lassen, dass der Film mit verschiedenen Kamera und Objekten gefilmt wurde, greifen Allgeier und Fanck zu einfachen, aber genialen Tricks: Um den Aufnahmen mehr Dramatik zu verleihen, setzten sie unter anderem Scherenschnitte ein.

Die Premiere im Spätsommer 1920 fand in Freiburg statt. Es kamen über 1.000 Zuschauer. Die Erstvorführung wurde begeistert gefeiert. Allgeier und Fanck haben es geschafft: Sie sprengten nicht nur die Grenzen ihres filmerischen Könnens, sondern schufen ein neues Genre, das sie weltweit berühmt machte.

Mit ihren späteren Bergfilmen „Berg des Schicksals“ und „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ mit Luis Trenker in der Hauptrolle gelangen ihnen weitere Meisterwerke und unvergessene Filmdokumentationen. Was heute jedoch kaum jemand weiß: Dass der erste Skifilm aller Zeiten dort entstanden ist, wo auch die Geschichte des Skisports in Mitteleuropa seinen Anfang nahm: auf dem Gipfel des Feldbergs im Schwarzwald.