Ein Theater für alle
Theaterstücke schreiben und Theater spielen, das ist der rote Faden zwischen den drei Generationen der Familie Buhr-Vogt, zwischen Mutter, Tochter und Enkelin. Während die 89-jährige Erika Buhr mit dem Schreiben erst begann, als die fünf Kinder aus dem Haus waren, hat Tochter Corinna Vogt (53) ihr Leben inzwischen ganz dem Theatermachen gewidmet. Enkelin Marielle, zwölf Jahre alt, war von klein auf bei Mamas Theaterproben dabei und steht inzwischen selbst auf der Bühne.
Das Theaterspiel verbindet nicht nur diese eine Familie, sondern eine stattliche Anzahl von Menschen aus der Gemeinde Ühlingen-Birkendorf am Südhang des Hochschwarzwaldes. Beim Freilichttheater „Zwischen den Welten“, das 2019 mit großem Erfolg erstmals aufgeführt wurde, waren gut 200 Leute zwischen vier und gut 80 Jahren aus den umliegenden Orten beteiligt. Das Stück spielt während der badischen Revolution um 1850 und erzählt die Geschichte der Auswanderer vom Schwarzwald nach Amerika am Beispiel des Dorus Kromer aus dem Ortsteil Riedern. Geschrieben hat das Stück Erika Buhr nach Tagebuchaufzeichnungen von Dorus Kromer. Inszeniert, Regie geführt und selbst eine Rolle übernommen hat ihre Tochter Corinna Vogt, auch Enkelin Marielle hat mitgespielt. Das Auswandererstück ist die zwölfte gemeinsame Produktion von Mutter und Tochter, die vielen kleineren Kindertheaterstücke, die im Laufe der Jahre entstanden sind, nicht mitgezählt.
Bereits 2016 hatte Erika Buhr eigens zur 1.200-Jahr-Feier des Ortsteils Ühlingen das Stück „Im Wind der Zeit“ geschrieben und dafür gemeinsam mit Tochter Corinna recherchiert. „Ich finde, meine Mama zaubert mit Worten, sie kann mit wenigen Worten Dinge auf den Punkt bringen“, schwärmt Corinna Vogt über das Schreibtalent ihrer Mutter. „Man braucht ein Gespür, wie man das Wesentliche aus einem ganzen Leben herausgreift und das Rollenbuch und die Geschichte so gestaltet, dass sie die Zuschauer ergreift und das Publikum mitnimmt“, ergänzt die Regisseurin. Erst mit über 60 Jahren hatte Erika Buhr sich intensiver dem Schreiben widmen können, von Tochter Corinna wurde sie motiviert zu einem Fernstudium an der Goethe Akademie Frankfurt. Neben Theaterstücken schreibt Erika Buhr Gedichte und Prosa in alemannischer und hochdeutscher Sprache.
Die Liebe zum Theater und zur Schauspielerei erfasste Corinna Vogt schon während ihrer Schulzeit und hat sie seither nicht mehr losgelassen. Sie nahm an Theater-, Regie- und Schauspielkursen teil, stand in zahlreichen Orten als Schauspielerin auf der Bühne. Nach ihrer Heirat zog sie nach Ühlingen-Birkendorf, bekam Kinder und lebte ihre Leidenschaft fürs Theater in einer Kindertheatergruppe und Theater-AGs in Kindergarten und Schule aus. Die Stücke dafür schrieb – Erika Buhr.
Die Theaterlust greift um sich
Beim aktuellen Stück „Zwischen den Welten“, das in diesem Sommer erneut gespielt werden soll, machen Menschen aus allen acht Ortteilen, Einheimische, Zugezogene und Geflüchtete mit. Der Theaterverein Zeitschleuse e.V hat inzwischen fast 200 Mitglieder. 50 Kinder und Jugendliche der Theaterfamilie bilden die Kinder- und Jugendtheatergruppe „Freudekids“. Im Theaterverein gibt es Aufgaben für jeden, denn ein Freilichttheater funktioniert nur, wenn möglichst viele Menschen sich und ihre Talente einbringen. Wer selbst nicht Theater spielen möchte, kann sich Backstage oder in der Technik engagieren. Es gibt eine eigenes Kinderbetreuungsteam während der Aufführungen, und ein Schmink- und ein Nähteam, das die Kostüme schneidert.
Was eine Gemeinschaft zu leisten fähig ist, auch wenn sie gar nicht als Gemeinschaft zusammenkommen kann, zeigte sich in der Hochphase der Corona-Pandemie im Frühjahr und Sommer 2020 und Winter 2021. „Sobald es möglich war, haben wir uns in kleinen Gruppen getroffen und sind den Umbau und die Renovierung unseres neuen Vereinsheims angegangen“, berichtet Corinna Vogt. Kleine Handwerkergruppen haben nach einem ausgeklügelten Zeitplan die Räume gestrichen, die Küche eingebaut, den Boden abgeschliffen, eine Bühne gebaut und 80 Stühle aufgemöbelt. „Da gab es für jeden, der wollte, etwas zu tun. Viele hatten Zeit und waren froh, etwas für die Gemeinschaft tun zu können“, sagt die Regisseurin, die die gesamten Arbeiten von zuhause aus koordiniert hat.
Im Sommer 2022 präsentiert der Theaterverein nach zwei coronabedingten Verschiebungen „Zwischen den Welten“ im neuen Kleid.
Für das Publikum wird „Zwischen den Welten 2022“ in einigen Bildern neu inszeniert, insgesamt etwas gekürzt und gleichzeitig aber auch angereichert mit neuen Spielszenen, wie zum Beispiel der Hochzeit der Hauptfiguren Dorus und Marei Kromer. Auch das Auswandererschiff „Rouenaise“ wird dieses Jahr noch mehr im Mittelpunkt stehen, wie zum Beispiel in einem faszinierenden Parallelbild. So bleibt es auch spannend für Menschen, die im Sommer 2019 schon im Publikum saßen.
Das Publikum wird also zu Gast sein bei der größten Hochzeit Riederns zu seiner Zeit. Der Kreuzwirt Stefan Gromann von heute spielt in dieser Szene nicht nur seinen Vorvorvorvorgänger, sondern wird auch wieder zusammen mit Daniel Frech, Posthorn Ühlingen, für eine unvergleichliche Bewirtung sorgen. Im sommerlich schönen Ambiente der Klostergärten zu Riedern a.W. kann diese jeweils ab drei Stunden vor Spielbeginn mit allen Sinnen genossen werden.