Schwarzwälder Kirschtorte - Erste Sahne
Luftig-fester, kakaobrauner Biskuit, saftige Kirschen, einmal bedeckt, ein andermal als Krönung eines weißen Traums aus Sahne, und das alles abgeschmeckt mit aromatischem Kirschwasser: Als süßeste Botschafterin des Hochschwarzwalds ist die Kirschtorte in aller Munde. In Todtnauberg kommt sie nicht nur bereits seit Generationen im Hotel Engel auf die Kaffeetafel – dort im Kurhaus gibt es ihr zu Ehren sogar ein eigenes Festival, bei dem es heißt: Wer macht die Schönste im ganzen Land?
Das alte Familienrezept des Engelwirts
Bei Alfred "Fredi" Boch, Chef, Küchenmeister und Allroundtalent des Traditionsgasthauses Engel im Todtnauer Ortsteil Todtnauberg, sitzt jeder Handgriff: Zack, zack, zack – ist der Boden gedrittelt. Schwupps – sind Sauerkirschmarmelade und Kirschen auf dem ersten Boden verteilt, ist das Kirschwasser darüber geträufelt, die Sahne draufgesetzt, gedeckelt und der Biskuitboden beschnapst. Mit einem gezielten Klatsch landet die Sahne auf dem zweiten Boden. Flupp – ist alledem ein weiterer Tortendeckel aufgesetzt, mit Schnaps bespritzt und der Torte mit gezielten Spachtelstrichen ein weißes Sahnekleid verpasst. Mit dem Spritzbeutel werden Rosetten gezaubert und mit Sauerkirschen gekrönt, und ganz zum Schluss regnet es Schokoraspeln auf die goldene Mitte – fertig ist das süße Stück Hochschwarzwald. Keine acht Minuten hat Boch dafür gebraucht.
Leidenschaft für die Königin der Torten
Der 50-Jährige backt seine Schwarzwälder ausschließlich nach dem Originalrezept seines Großvaters, der Konditor war und auch Alfred hieß – wie auch Fredi Bochs Vater. Dreimal Alfred, dreimal pure Leidenschaft für die Königin der Torten! "Das Rezept stammt aus den 1920er-Jahren, als mein Großvater unterwegs war. Wo genau er das Rezept her hat, weiß ich allerdings nicht“, sagt Fredi Boch, der seine erste Kirschtorte während der Lehrzeit fertigte. Dann folgten Stationen in der Schweiz, in Österreich und Heidelberg, wo er seinen Küchenmeister machte und anschließend Hotelbetriebswirt studierte.
Zurück in die Heimat der Schwarzwälder
Schließlich zog es ihn wieder heim: „Die Berge, die Natur – für mich wäre das Meer keine Alternative. Wir wohnen hier schon auf einem sehr schönen Fleckchen“, sagt Boch. Seit 25 Jahren arbeitet er im Familienbetrieb mit, seit 2015 führt er ihn in dritter Generation gemeinsam mit seiner Partnerin Silke Textor – und damit auch die Tradition weiter. Bereits 1861 erhielt der Engel Gastwirtschaftsrecht und seit Fredi Bochs Großeltern das Hotel 1932 kauften, war der Betrieb durchgehend in Familienhand.
Vor drei Jahren machte das Haus dann einen weiteren Schritt Richtung Zukunft: Als eines von zwei „Familotels“ im Hochschwarzwald hat der Engel sein Serviceangebot speziell auf Familien mit Kindern ausgerichtet, inklusive Kinderbetreuung, Familienappartements und einem Büffetangebot zum All-inclusive-Preis den ganzen Tag über. Ein großer Sprung war das nicht, denn ohnehin war der Betrieb schon familienfreundlich eingestellt.
Hausspezialität Schwarzwälder Kirschtorte
Beliebt sind unter den Gästen Bochs Schwarzwälder-Kirschtorten-Kurse, die er auch speziell für Kinder gibt – dann natürlich mit Kirschsaft statt Schnaps. Für seine Schwarzwälder ist der Engel weithin bekannt. „Wenn die Kirschtorte ausgeht, das ist schlecht. Dann murren sie, die Gäste“, sagt Fredi Boch und seine Mutter, die fast 80-jährige Walburga Boch, die noch immer im Betrieb mitarbeitet, ergänzt: „Das ist halt unsere Hausspezialität.“
Eine Torte geht um die Welt
Seine Kirschtorten hat Fredi Boch schon in allen möglichen und unmöglichen Lokalitäten zubereitet: „In freier Wildbahn, auf einem Rossmarkt mitten in der Pampa oder bei Bullenhitze“, beschreibt er die größten Herausforderungen. Selbst in Berlin in der Landesvertretung Baden-Württembergs hat er schon Diplomatengattinnen in die Kunst des Kirschtortenbackens eingewiesen. „Es ist schon mehrfach durch Umfragen nachgewiesen, was die Leute mit dem Schwarzwald assoziieren: Die Nummer 1 ist die Kirschtorte. Da kommt lange keine Kuckucksuhr, kein Speck, kein Kirschwasser“, zählt Boch auf. Überallhin hat es der "Black Forest cake" geschafft, bis nach Thailand und Australien. Doch die echte Schwarzwälder, sagt der Gastwirt, gibt es nur mit heimischen Produkten: mit Kirschen aus dem Kaiserstuhl und Markgräflerland, mit Kirschwasser, Mehl und Milch aus der Region – und dem richtigen Rezept. „Wenn man ein gutes Rezept hat und eine gute Resonanz, dann sollte man auch dabei bleiben“, erklärt der Küchenmeister kurz und bündig.
Wie viele Torten er schon gebacken hat? „Das kann man relativ einfach ausrechnen: 40 Jahre lang mache ich schon Schwarzwälder, im Schnitt zwei am Tag. Und da ich selbstständig bin und keine sechs Wochen Urlaub habe, rechnen wir einfach auf 300 Tage.“ Das Ergebnis: stolze 30 000 Stück.
Backen mit verbundenen Augen und Guinness-Rekord
Mit eingerechnet sind dabei noch nicht einmal die 3200 Portionen, die er 1998 buk, als er es mit der weltgrößten Kirschtorte ins Guinnessbuch der Rekorde schaffte. Ebenfalls nicht enthalten sind diejenigen Exemplare, die Boch seit den 1990er-Jahren auf zahllosen Messen vor aller Augen hergestellt hat, angeworben vom damaligen Todtnauberger Kurdirektor Alfons Rotzinger. Bis zu 100 Torten gingen bei einer solchen Messe über die Theke. Um Boch als Meister seines Fachs herauszufordern und das Publikum zum Mitmachen zu animieren, ließ sich der Tourismuschef bei solchen Anlässen einiges einfallen. Eines Tages verkündete er vollmundig, Boch werde mit verbundenen Augen gegen einen Freiwilligen aus dem Publikum in den Wettbewerb treten. „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht blind eine Kirschtorte machen kann, das funktioniert nicht", erinnert sich Fredi Boch. "Doch er hat nur geantwortet: ‚Ach doch, das schaffst du schon.‘" Das Tuch zum Verbinden der Augen kam schließlich zwar zum Einsatz – aber „nur fürs Hühnerauge“, wie Rotzinger dem Publikum augenzwinkernd erklärte.
Die Miss-Wahl der Torten: das Schwarzwälder Kirschtortenfestival
Nach einem solchen Messetag kam Boch bei einem Feierabendbier mit Rotzingers Nachfolger Sascha Hotz auf die Idee, ein Kirschtortenfestival auszurichten. Gemeinsam entwickelten die beiden das Format, das 2004 schließlich seine Premiere erlebte. Seither versammeln sich alle zwei Jahre rund 30 Konditoren und Hobbybäcker im Todtnauberger Kurhaus zu einer ganz besonderen Tortenschlacht um Gold, Silber und Bronze, bei der die Zuschauer die Meisterwerke im Anschluss auf die Gabel bekommen.
Auch Initiator Fredi Boch sitzt bei der Miss-Wahl der Torten in der Jury, die außerdem aus Konditormeister Franz-Josef Koszinowsky, Patissier Armand Maier und Walter Georg Blust, einem Konditor aus der Berufsschule vervollständigt wird. Sie zücken Stift und Block und probieren sich durch die Backwerkberge, verteilen Punkte in Sachen Optik, handwerkliches Geschick, Geschmack und Geruch von Boden, Sahne und Füllung. Einen Sonderpreis gibt’s für die schönste Kreation.
Zwanzig Minuten haben die Profizuckerbäcker und Amateure Zeit, um vor den Augen des Publikums eine Schwarzwälder Kirschtorte zu fabrizieren. Beim handwerklichen Geschick sind sich die Juroren oft einig, erzählt Boch: „Jeder sieht, ob jemand das kann oder nicht.“ Vieles fällt dabei ins Gewicht: Ist der Biskuit zu luftig oder zu hart, wurde ihm zu viel oder zu wenig Kakao und Kirschwasser beigemischt, enthält die Sahne zu viel oder zu wenig Zucker? Harmoniert alles oder sticht eine Zutat extrem heraus?
Keine Experimente beim Klassiker
Beim Geschmack füllt jedes Jurymitglied seinen Bewertungszettel etwas anders aus. „Aber am Ende sind wir uns immer einig: Eine Schwarzwälder, das ist dunkler Biskuit, sind die Kirschen, die Sahne und das Kirschwasser. Da braucht man nicht rumexperimentieren. Lieber einfach und schön“, betont Boch. „Einmal hat eine Japanerin grünen Tee reingemacht und solches Zeug.“ Es gab auch schon Backwerke mit Baiser oder Zimt im Biskuitboden. Der Schwarzwälder-Profi schüttelt den Kopf: „Das hat nichts mehr mit einer Schwarzwälder Kirschtorte zu tun.“ Austoben können sich die Zuckerbäcker allerdings bei den Kreationen. So wurden Torten bereits von den tollsten Schokoladenornamenten oder essbaren Figuren gekrönt.
Mitmachen kann beim Kirschtortenfestival jeder und bei der Anmeldung selbst einschätzen, ob er sich mit den Profis oder den Amateuren messen möchte. Meist sind in der ersten Kategorie Konditoren, Köche und Auszubildende zu finden, bei den "Laien" oft Hausfrauen oder -männer. „Was uns aufgefallen ist: Die Amateure können locker mit den Profis mithalten. Da gibt es welche, die sehr, sehr gut sind“, stellt Boch abschließend fest.
Das Kirschtorten-Gen der Familie hat Fredi Boch unterdessen an seinen Sohn weitergegeben, der – so viel Tradition muss sein – ebenfalls Alfred heißt, schon von klein auf Kirschtorten gebacken hat und in den vergangenen Jahren stets beim Festival angetreten ist. Bislang bei den Amateuren. Noch.