Es gibt unzählige Hof-zu-Hof-Verbindungswege hier oben, einige davon sind auf keiner Karte eingezeichnet.

Auf dem Rennrad von Hof zu Hof

Nebenstraßen von Nebenstraßen
13.05.2022

von Patrick Kunkel

Berge, Täler, Einsamkeit: Im Hochschwarzwald zwischen Hinterzarten, dem Jostal und St. Peter warten etliche kleine Traumstraßen auf Rennradler – und ein Höhenprofil, das es in sich hat.

Man kann das Rauschen schon aus einiger Entfernung hören. Nein, kein Windhauch im Laub und auch kein wilder Bach, der zwischen moosigen Felsen dahinschießt, sondern es rauscht der Verkehr auf B500, der Schwarzwaldhochstraße. Am Thurnerpass durchschneidet sie Wald und Weiden, ich trete in die Pedale, biege ins nächste kleine Sträßchen ab – und Ruhe.

Das Asphaltband zwischen den Höfen

Es gibt Rennradfahrer, die mögen solche Straßen wie diese große Verbindungsstrecke zwischen den Hauptorten des Schwarzwalds – breite Pisten, auf der sie erst im gleichförmigen Tritt bergauf kurbeln und am Ende möglichst schnell bergab rasen können. Viele fahren stets ihre ausgefahrenen Strecken, selbst auf verkehrsreichen Straßen. Die Landschaft verschwimmt im Vorbeifliegen, während Oberschenkel und die Kilometeranzeige auf dem Tacho anschwellen. 

Ich mag lieber Nebenstraßen. Und Nebenstraßen von Nebenstraßen – wie etwa das schmale Asphaltband, das sich jenseits der Hauptrouten von Hinterzarten zum Thurner hinaufschlängelt, dabei einen Schlenker durch das Jostal macht und von einem prächtigen Schwarzwaldhof zum nächsten führt. Hier kommt man ganz nah an den alten Höfen vorbei, am kläffenden Hofhund und der offenen Tenne hinter der Hocheinfahrt. Im Hochschwarzwald gibt’s ein ganzes Netz solcher versteckter Sträßchen.

Ich mag lieber Nebenstraßen - und Nebenstraßen von Nebenstraßen!
Ich mag lieber Nebenstraßen - und Nebenstraßen von Nebenstraßen! © Patrick Kunkel

Hinterzarten liegt noch unter einer Schicht Frühnebel, doch kurz vorm Heiligenbrunnen lasse ich den Dunst hinter mir. Als ich weiter oben, am Schlegelfranzenhof, ums Eck biege, steht zuerst eine Kuh auf der Straße, dann eine ganze Herde und hintendrein kommt die Bäuerin gelassen gelaufen. Die Weideperiode hat begonnen. Wir halten ein Schwätzchen – ja, der Winter war scho hartnäckig dieses Jahr, sagt sie. Aber jetzt ist er ja da, der Frühling. Sie lacht freundlich. Ade. Und weiter geht es.

Wie im "Schwarzwaldmädel"

Ja, ich mag sie lieber, die kleinen Sträßchen ohne Verkehr, auf denen sich mir die Landschaft Meter für Meter und Kurve um Kurve erschließt und wo ich mit den Menschen ins Gespräch kommen kann, die hier leben und – oft genug hart – arbeiten. Oberhalb des Jostals wird einem ganz schwindlig vor schöner Aussicht. Die Straße schlängelt sich und  bockt, geht mal hochprozentig hinauf und dann wieder so steil bergab, so dass man gar nicht rasen kann – aber ganz genau hinschauen muss.

Es gibt unzählige Hof-zu-Hof-Verbindungswege hier oben, einige davon sind auf keiner Karte eingezeichnet, aber demjenigen, der sie gefunden hat, erschließt sich auf ihnen der echte, ungefilterte Schwarzwald jenseits der Hochglanzprospekte, wo man auch mal auf einen Schnaps eingeladen wird, eine halbe Lebensgeschichte erzählt bekommt oder dem kalbsgroßen Hofhund das Fell hinterm Ohr kraulen darf – aber auch mal ranzige, wortkarge Sonderlinge die Auskunft nach dem rechten Weg verweigern.

Wo man auch mal auf einen Schnaps eingeladen wird, eine halbe Lebensgeschichte erzählt bekommt oder dem kalbsgroßen Hofhund das Fell hinterm Ohr kraulen darf
Wo man auch mal auf einen Schnaps eingeladen wird, eine halbe Lebensgeschichte erzählt bekommt oder dem kalbsgroßen Hofhund das Fell hinterm Ohr kraulen darf © Patrick Kunkel

Am Sägewerk beim Dominikhof in Bruckbach stand etwa an einem ruhigen Sonntag eine herausgeputzte Großfamilie im feierlichen Kirchenstaat auf der Straße – es war „Weißer Sonntag“ und ich kam mir wie in der Filmkulisse zum „Schwarzwaldmädel“ und überdies in meiner Fahrradkluft plötzlich sehr Fehl am Platze vor. Ich lächle in mich hinein bei der Erinnerung und lasse es bergab Richtung Jostal rollen – ein kurzes Stück nur, um gleich darauf in einer großen Schleife wieder hinauf zu Doldenbühl und Thurner zu wuchten. Das Jostal ist schön, doch dessen Seitenausläufer in die Hänge hinein sind noch viel schöner.

Von Hinterzarten bin ich in der Frühe auf die große Runde gestartet: Erst auf den kleinen Straßen oberhalb des Jostals und weiter zum Hohlen Graben bis Waldau, Traumstraßenanteil bis dahin: Fast 100 Prozent! Ein besonders schöner Abschnitt ist der Lehwaldweg, eine kurvenreiche, für den Verkehr gesperrte ehemalige Landstraße, deren alter Mittelstreifen noch deutlich zu sehen ist. In der klaren Luft des Vormittags sind die Konturen der gegenüberliegenden Bergwaldhänge scharf umrissen – in der Nähe liegt der Glashof, auf dem vor fast 400 Jahren die erste Kuckucksuhr ausgetüftelt und geschnitzt wurde. Das Brummen auf der B 500 kommt zweimal nah, doch ich lasse es jedes Mal nach wenigen hundert Metern wieder hinter mir.

Abwärts!

Und auch den Höhenzügen des Hochschwarzwalds kehre ich einstweilen den Rücken: Im Wolfloch rausche ich auf rauem Asphalt talwärts und an dem verlassenen und verfallenden Wolfhof vorbei, ein letzter Anstieg bis Neukirch und schon geht es hinab ins Simonswäldertal. Husch – durch Gütenbach mit seinen Faller-Werken – doch dann wird die schnelle Abfahrt jäh unterbrochen, weil hier das kleine Sträßchen ins Wildgutachtal abzweigt, eine sanft ansteigende Straße, auf die kaum zwei Autos nebeneinander passen. Sie folgt dem verwinkelten Verlauf des Talgrunds, dessen Felswände immer enger zusammenrücken. Lichtpunkte fallen durchs Blätterdach und sprenkeln den Asphalt. Unten wirbelt die Wilde Gutach, oben, am Hang, kleben einzelne kleine Gütchen, an deren ums Eck verlaufender breiter Fensterfront man heute noch erkennt, dass in ihnen damals keine Bauern lebten, sondern Uhrmacher, die viel Licht zur täglichen Arbeit brauchten.

Kaum zu glauben, dass die Hänge voll dichtem Waldpelz, durch dessen Wipfel ein grüngolden-dunstiges Sonnenlicht bricht, vor nicht einmal 300 Jahren komplett kahl rasiert waren
Kaum zu glauben, dass die Hänge voll dichtem Waldpelz, durch dessen Wipfel ein grüngolden-dunstiges Sonnenlicht bricht, vor nicht einmal 300 Jahren komplett kahl rasiert waren © Patrick Kunkel

Kaum zu glauben, dass die Hänge voll dichtem Waldpelz, durch dessen Wipfel jetzt ein grüngolden-dunstiges Sonnenlicht bricht, vor nicht einmal dreihundert Jahren komplett kahl rasiert waren, weil zuerst der Silberbergbau und später die Glashütte gierig nach immer mehr Brennholz verlangten. Heute dagegen beherbergen die Steilhänge naturnahe Mischwälder mit prächtigen Buchen, Tannen und Fichten – mehr als generell im Schwarzwald, weil die steinigen Halden so schwer zu bewirtschaften sind, dass sich eine geregelte Forstwirtschaft kaum lohnt. Stattdessen wuchert in manchen Karen heute sogar Bannwald, wo die Natur sich seit fünfzig Jahren selbst überlassen wurde.

Ein seltsamer Kontrast, als ich von der Hexenlochmühle die steilen Kurven zum Neuhäusle hochkurble, umgeben von dichtem Wald, und plötzlich geht der Blick weit, streift über die Höhenzüge und wird erst vom mächtig thronenden Feldberg wieder gehalten. Die Panoramastraße eilt erst sanft, dann immer steiler abfallend auf St. Märgen und St. Peter zu, um schließlich in die  rasant an den Kandelhang gebaute Glottertalstraße zu münden. Ehe sich weit unten, kurz vor der fruchtbaren Rheinebene das Tal weitet, wo auch heute noch stattliche Höfe oben auf den weiten, lichten Matten thronen und über allem die grünen Weinbergterrassen schweben, geht es entlang der schroffen Waldflanken des Kandels immer entlang der Glotter bergab, die in Jahrtausenden den Fels zernagt und sich ein enges Tal geschaffen hat.

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Und dann Freiburg: Früher mal wurde die Stadt „Tor zum Schwarzwald“ genannt und das gilt selbst heute noch, wo viel lieber von „Green City“ gesprochen wird. Sie hat nun weder viel Natur noch wenig Verkehr zu bieten, aber die Innenstadt ist schnell durchquert, gilt als radfahrerfreundlich, und auf Umwegen durch Herdern geht das nicht nur glimpflich, sondern sogar noch schön vonstatten. Am südlichen Stadtrand, wo der Schwarzwald seine Fühler bis an die Wiehre streckt, schlängelt sich die für Autos gesperrte Waldseestraße – und hinter Kirchzarten wartet Oberried und ein ganz besonderer Leckerbissen dieser Tour: Der Anstieg durch das Zastlertal hinauf zum Rinken.

Mit der Bahn hinauf und die schönste Etappe verpassen?

Dank Höllentalbahn könnte ich schon ab Freiburg samt Rad bequem mit dem Zug zurück nach  Hinterzarten gleiten – atemberaubende Bahnstrecke inbegriffen. Das spart ab Freiburg 930 Höhenmeter und 35 Kilometer, aber auch eine aufregend schöne Bergetappe, vielleicht eine der härtesten, schönsten und ruhigsten im ganzen Südschwarzwald. Vorm Ziegenhof im Zastlertal steht ein Kühlschrank mit Käse und Ziegenwurst auf der Straße, hier bediene ich mich selbst und lege das Geld in die Stahlkassette. Kurz hinter dem Mederlehof ist die Durchfahrt für Autos dicht und wieder zwei Kurven weiter überrascht die Strecke mit einer eiszeitlichen Hinterlassenschaft.

Plötzlich weht ein kühler Wind, so als ob jemand eine Kühlschranktür geöffnet hat. Die Zastler Eislöcher sind Hohlräume zwischen Felsbrocken am Nordhang des Feldbergs, in denen sich bis in die heißen Sommermonate Eisreste halten können. Kalt ist es in dem schattigen Loch aber auch ohne Eis und die Erfrischung tut gut. Denn es wird schnell wieder warm: Die Straße zum Rinken auf 1196 Meter hat Spitzen von gut 18 Steigungsprozenten. Kurz vor der Passhöhe sind 400 Meter feiner Schotter zu passieren, der aber auch mit schmalen Rennradreifen gut befahrbar ist – für Liebhaber breiter Straßen und schnellen Vorankommens natürlich undenkbar, aber da verpassen sie was. Etwa die netten Wanderer aus Frankreich, die an der Wegkreuzung am Rinken in die Karte schauen wollen und schließlich gut gelaunt auf dem Naturpfad Richtung Feldberg verschwinden. Oder den salzig-rauchigen Geschmack der Ziegenwurst aus dem Zastlertal, die umso besser schmeckt, wenn man gerade 900 Höhenmeter am Stück gefahren ist. Ich beiße hinein und staune: Über die Natur, die ihren weißen Pelz seit meinem letzten Besuch hier oben abgelegt hat und seither so anders geworden ist – grün und belebt. Und beim Blick aufs Tacho: 104 Kilometer bis hierher und annähernd 2200 Höhenmeter. Gut, dass es das letzte Wegstück bis Hinterzarten fast nur noch bergab geht. Alpersbach huscht vorbei. Kühe links, Pferde rechts. Die Straße führt bis ins Ortszentrum. Und in der Ferne rauscht was – aber kein Bach.

Mehr Informationen

  • Traumstraßen im Hochschwarzwald
    Schwierigkeitsgrad: Anspruchsvolle Rennradtour
    Streckencharakter: Bergig
    Länge: 115 km
    Anstieg: 2250 hm
    Höchster Punkt: Rinken 1199 m
  • Abkürzungen:
    1. ab Thurner geradeaus auf L128, dann (bei km 15) nicht rechts abbiegen, sondern weiter bis St. Märgen (spart 32 km)
    2. ab Freiburg mit der Höllentalbahn nach Hinterzarten (spart 35 km)
  • Streckenverlauf: Hinterzarten – Heiligenbrunnen – Siedelbach – Eckbach – Einsiedel – Thurner – Waldau – Schollach – Hammereisenbach-Bregenbach – Linach – Furtwangen – Neukirch - Gütenbach – Wildgutach – St. Märgen -  St. Peter – Glottertal – Heuweiler – Gundelfingen – Freiburg – Oberried – Zastler – Rinken – Hinterzarten
  • Frisches vom Bauern:
    Ziegenhof Zastler
    Adamshofweg 1, 79254 Oberried/Zastlertal 
    Tel.: 07661 627610, www.ziegenhof-zastler.de

    Baldenweger Hof (Dreisamtal)
    Wittentalstr. 1, 79252 Stegen-Wittental
    Tel.: 07661 903571, www.baldenwegerhof.de 
  • Karten und GPS:
    • Landkreiskarten des Landesamts für Geoinformation und Landentwicklung (1:35.000 und 1:50.000)
    • Magic Maps: Tour Explorer 25 Baden-Württemberg Version 5
  • Literatur: 
    • Patrick Kunkel: „Radtouren rund um Freiburg“, G. Braun Buchverlag, In diesem handlichen Führer werden 25 Fahrradtouren rund um Freiburg vorgestellt.
    • Wolfgang Abel: „Freiburg, Breisgau, Markgräflerland. Gastronomie und Heimatkunde“, Oase Verlag, Mit Biss ausgesuchte Gasthäuser, sonnige Terrassen und Tourenvorschläge zwischen Freiburg und Basel.
    • Jens Schäfer: „Gebrauchsanweisung für Freiburg und den Schwarzwald“, Piper Verlag, Unterhaltsam, gabelt auch abseitige Geschichten auf, jedoch kein praxisorientierter Reiseführer.