Schlaflos im Schwarzwald
Nächtliches Mountainbiken, Wandern oder Schneeschuhlaufen: Immer mehr Menschen sind nach Einbruch der Dunkelheit im Wald unterwegs – und werden dadurch für heimische Wildtiere zu einem unberechenbaren Störfaktor.
Schon der Gedanke birgt für manchen die Gefahr einer Migräne: Während man selig schlummert, rauscht eine Gruppe Mountainbiker am Bett vorbei. Klingt absurd? Wie wäre es mit einem Geocacher, der unter dem Essenstisch nach einem versteckten Schatz sucht? Oder mit einer Handvoll Joggern, die nachts das Schlafzimmer mit ihren Stirnlampen komplett ausleuchten? Die meisten Menschen würden auf solche Begegnungen äußerst gereizt reagieren. Für die Wildtiere im Hochschwarzwald werden sie allmählich zum Alltag.
Zwar schlafen die meisten Tiere nicht vom Abend bis zum nächsten Morgen durch. Dennoch brauchen sie Zeiten, zu denen sie zur Ruhe kommen können. Und auch zur Futtersuche ist die Nacht für sie von großer Bedeutung. Dabei kommen ihnen allerdings immer öfter Menschen in die Quere, die zu Fuß, auf Fahrrädern, auf Schneeschuhen und Langlaufski, auf Pilz- und auf Schatzsuche mit GPS-Geräten den finsteren Tann durchstreifen.
Nächtliche Aktivitäten im Wald nehmen zu
Laut Vera Kopp von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg ist der Trend zu Abend- und Nachtaktivtäten im Wald deutlich spürbar. „In letzter Zeit werden verstärkt Genehmigungen für Fackelwanderungen, Mondschein-Touren oder 24-Stunden-Events beantragt“, berichtet die Forstwissenschaftlerin, die sich bei der FVA mit den Auswirkungen von menschlichen Aktivitäten auf Wildtiere beschäftigt. „Das soll natürlich nicht alles verboten werden – die Menschen sollen ja nicht komplett aus dem Wald ausgeschlossen werden.“ Stattdessen verfolgt die FVA den Ansatz, das Nebeneinander von Mensch und Tier in stärker geordnete Bahnen zu lenken. Außerdem will sie bei Waldbesuchern das Bewusstsein schärfen für die Folgen ihres Verhaltens.
Begegnungen mit Menschen können für Rehe, Dachse, Auerwild und Co. gravierende Folgen haben. Instinktiv laufen sie vor jedem potenziellen Feind davon oder suchen sich ein Versteck – meistens schon lange, bevor sie von den Menschen bemerkt werden. „Tiere, die in solche Situationen kommen, können eine dauerhaft erhöhte Herzfrequenz sowie eine größere Anzahl von Stresshormonen im Körper aufweisen“, sagt Kopp. Hinzu kommt: Einerseits werden sie in solchen Fällen oft von ihren Futterplätzen vertrieben, andererseits müssen sie für jede Flucht sehr viel Energie aufwenden. Diese Kombination kann besonders im Winter, wenn das Nahrungsangebot ohnehin knapp ist, gefährlich werden. Im schlimmsten Fall droht der langsame Hungertod. Auch die Paarung und Aufzucht der Jungen können beeinträchtigt werden.
Verständlich also, dass die meisten Wildtiere den Menschen lieber aus dem Weg gehen: So halten etwa Auerhühner zu Mountainbikestrecken in der Regel einen Abstand von rund 145 Metern, wie Forscher mithilfe von besenderten Tieren herausfanden. Belebten Skipisten, wie jenen am Feldberg, kommen sie im Winter kaum näher als 320 Meter. „Solange Menschen auf den immer gleichen festgelegten Wegen und Pisten unterwegs sind, können die Tiere sich daran anpassen“, sagt Kopp. Problematischer wird es, wenn Waldbesucher diese festen Bahnen verlassen und sich quer durchs Unterholz bewegen. Dann werden sie zu einem kaum noch berechenbaren Störfaktor.
Viele Tiere weichen zur Futtersuche auf die Nacht aus
Dieselbe Unberechenbarkeit besitzen Menschen, die nachts im Wald unterwegs sind. Denn Wildtiere weichen uns nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich aus. So konnten die Forscher der FVA beispielsweise im Rotwildgebiet Südschwarzwald zwischen Schluchsee und St. Blasien beobachten, dass die Hirsche zwar tagsüber Forstwege und viel begangene Wanderwege meiden, nachts jedoch eben diese Schneisen im Wald gezielt aufsuchen. „An Wegrändern und Böschungen finden sie Gräser und Beeren“, erklärt Kopp. Sind an diesen Orten aber rund um die Uhr Menschen anzutreffen, bleiben die Tiere dieser wichtigen Nahrungsquelle fern.
Für Waldbesitzer kann das sogar wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen: Wenn das Rotwild sich ins Fichtendickicht zurückziehen muss, wo keine Gräser wachsen, beginnt es mangels Alternativen häufig, die Rinde der Bäume abzuschälen. „Außerdem lassen die Tiere sich dann nicht mehr so gut von den speziell dafür eingerichteten Ständen beobachten“, fügt Kopp an – ein Verlust für Naturliebhaber und Touristen.
Ruhezonen für Tiere, Aktivitätsbereiche für Menschen
Daher appelliert die Forstwissenschaftlerin an Waldbesucher, bei nächtlichen Aktivitäten zumindest in der Nähe von Dörfern und Städten zu bleiben. Denn je weiter entfernt von Siedlungen Personen auftauchen, desto weniger rechnen Wildtiere mit ihnen. Außerdem schlägt die FVA einen Plan zur räumlichen Trennung von ruhebedürftigen Tieren und den Freizeitaktivitäten von Menschen vor. Dazu sollen einerseits Zonen im Wald festgelegt werden, in denen die Tiere möglichst ungestört bleiben, auch von Jägern und Forstarbeitern – etwa durch die Einrichtung von Wildruhegebieten oder das Erstellen räumlicher Konzeptionen, wie für das Rotwildgebiet am Schluchsee. Dort können beispielsweise Einschränkungen im Betretungsrecht, ein Wegegebot, Leinenpflicht für Hunde sowie spezielle Regelungen für die Zeiten der Brut und Aufzucht gelten. Freizeitaktivitäten sollen hier möglichst nicht stattfinden.
Gleichzeitig sollen andere Waldgebiete ausgewiesen werden, die ausdrücklich für die intensive Nutzung durch den Menschen vorgesehen sind – bevorzugt in Gegenden, die für die Paarung und Futtersuche von Wildtieren nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Auch größere Veranstaltungen und Nachtaktivitäten wären hier möglich. Dazwischen sollen Übergangszonen für einen Puffer sorgen.
Letzten Endes sind die Tiere im Hochschwarzwald aber vor allem auf die Rücksicht der Waldbesucher angewiesen und auf deren Einsicht, nicht in fremde Schlaf- und Esszimmer einzudringen. Zumindest nicht zur Nachtzeit.