Unten ohne durchs Leben gehen
Beim Barfussgehen bin ich ein echter Hasenfuß. Scharfkantige Steinchen, die sich so richtig fies in meine Fußsohlen bohren, sind der reinste Horror. Dabei heißt es, dass Barfussgehen gesund sein soll. Also nehme ich meinen Mut zusammen und melde mich zum „Barfussing“ an um hautnah zu erleben, wie sich Barfuss-Wandern anfühlt.
Im Hochsommer besockt mit Wanderstiefeln durchs Grüne zu dampfen empfinde ich genauso als Folter wie mit blanken Füßen über Tannenzapfen zu staksen. Meine Rettung sind Barfuss-Schuhe, deren leichte Sohlen mich vor den Unwegsamkeiten des Bodens schützen, ohne meine Füße hermetisch abzuriegeln als wären sie ein U-Boot auf Tauchfahrt.
Mit solchen Barfuss-Sandalen an meinen Füßen steige ich am Treffpunkt oberhalb von Todtnau-Aftersteg aus dem Auto. Dort erwartet mich Markus Dutschke, der als Nordic Aktiv Trainer und Schwarzwald-Gästeführer arbeitet. Seine Webseite heißt „Ummegumpe“, (auf alemannisch soviel wie herumspringen). Ich sehe mich schon barfüssig ummegumpe, wie ein Indianer beim Pow Wow – und dabei blutige Fußabdrücke im Waldboden hinterlassend. Das kann ja heiter werden.
„Ich hatte zerschundene verhornte Hobbit-Pranken erwartet“
Für einen Barfuss-Freak sieht Markus Dutschke erstaunlich normal aus. Kurzgeschnittene graue Haare, Brille, durchtrainierter Körper und von der Sonne gebräunte Haut. Am erstaunlichsten finde ich seine Füße. Ich hatte zerschundene verhornte Hobbit-Pranken erwartet. Seine Füße sind muskulös aber filigran ohne die geringste Spur von Hornhaut.
„Die Schuhe kannst du erstmal anlassen“, sagt Markus. Puh, was bin ich erleichtert, dass ich eine Barfusswanderung in Schuhen starten kann. Ich folge Markus auf dem steilen Waldpfad. Er geht barfuss. Trittsicher und leichtfüßig, mit dem Ballen voran setzt er geschmeidig einen Fuß vor den anderen. Bald erreichen wir eine Hochfläche mit einer mit Blumen und Kräutern bewachsenen Weide. Von dort geht der Blick zu den umliegenden Bergen. Vor uns liegt die markante Kuppe des Belchen, auf der anderen Seite hebt sich der spitze Kegel des Silberbergs empor, dahinter ist der Feldberg-Turm auszumachen. Es ist schwül und am Horizont bilden sich Cumulus-Wolken, erste Vorboten eines aufziehenden Gewitters. Die Luft duftet nach dem blumig-grasigen Aroma sonnengetränkter Wiesen.
Vor uns führt ein Pfad mitten durch die Weidelandschaft. Markus muss mich nicht extra dazu auffordern, ich kann gar nicht anders, als meine Sandalen von den Füßen zu streifen. Der Erstkontakt ist erstaunlich sanft, warm und angenehm. Gras kitzelt zwischen meinen Zehen als ich die ersten Schritte – zunächst zaghaft und vorsichtig – auf blanken Füßen gehe. Ich spüre die Wärme des Bodens unter meinen Fußsohlen: mit jedem Schritt bemerke ich neue Reize und erlebe durch die Füße eine bislang unbekannte Art der Sinneswahrnehmung. Meine Zehen spreizen sich, krallen sich in das Weidegras, tasten sich durch das neue, unbekannte Territorium. Erstaunlich, was ich so alles in den Füßen fühle. Jeder noch so kleine Temperaturunterschied auf dem Boden der Weide macht sich bemerkbar. Vom warmen Boden über leicht schattig bis kühl. Mir kommt es vor, als hätte ich mit einmal einen weiteren Sinn hinzugewonnen.
Markus lacht, das Gefühl kennt der 54-Jährige nur zu gut. Als ihn vor Jahren das Barfussfieber packte, nahm es allerdings recht schnell ein blutiges Ende: Die Begeisterung über das Barfusslaufen war so groß, doch die Füße kamen mit der neuen Freiheit nicht zurecht, weil die Belastung einfach zu groß war. „Der große Zeh war durch und die obere Hautschicht hing in Fetzen herab.“ Ganz wichtig sei es, langsam anzufangen, rät der Barfuss-Experte.
Deshalb führt er seine Gäste in den Kursen auf sanften Wegen. Denn richtiges Barfussgehen fängt zunächst im Kopf an, weil die Füße das natürliche Gehen schlichtweg verlernt haben. Barfuss müssen Muskeln arbeiten, die in Schuhen schlichtweg verkümmert sind. Dazu zählt der Ballengang: den Fuß statt mit der Ferse, mit den Ballen zuerst aufzusetzen.
Das, was mich an den Füßen so schmerzt, wenn ich auf etwas Hartes trete, sind die Faszien, erfahre ich von Markus Dutschke. Faszien sind Teile des Bindegewebes, die die Muskeln umgeben. Je öfter man barfuss geht, desto geschmeidiger werden sie – und desto weniger Schmerzen empfindet man beim Barfussgehen. Und meine Bedenken, meine Füße könnten Hornhaut entwickeln, wenn ich häufig Barfuss gehe, sind unbegründet. Die Füße bekommen eine Lederhaut, sozusagen eine zweite, geschmeidige aber festere Haut, erklärt mir Markus.
Der Hochschwarzwald ist das ideale Barfuss-Revier
„Barfussgehen ist die ursprünglichste, natürlichste und älteste Fortbewegungsart des Menschen“, sagt Markus Dutschke. Für ihn ist das „Barfussing“ längst zu einer Lebenseinstellung geworden. Seit er größtenteils barfuss durchs Leben gehe, kenne er keine Rückenschmerzen mehr, die Muskulatur ist kräftiger, der Gang aufrechter geworden.
Seine Heimat, der Hochschwarzwald, ist für Dutschke das ideale Barfussrevier. „Hier findest du eine sanfte, abwechslungsreiche Naturlandschaft mit Allmend-Weiden, Wäldern und wunderschöne Panorama-Aussichten.“ Wer Barfuss geht, sensibilisiert sich automatisch für seine Umgebung, erlebt die Natur viel intensiver als mit Schuhen. Und, auch wenn das ziemlich esoterisch klingt: Barfuss können wir die freien Elektronen der Erdenergie aufnehmen, ein Begriff der unter „Earthing“ bekannt geworden ist, erzählt mir der Schwarzwald-Gästeführer.
Wir gehen über die Wiese, Gras streift sanft an meinen Beinen. Ich fühle mich wie auf Wolken. Markus zeigt auf eine winzige gelbe Blüte: Blutwurz. Und dort Sauerampfer, Margariten, Spitzwegerich, Arnika, Bärwurz, Flügelginster und Scharfgabe. Markus erklärt mir, dass man beim Barfussing die ätherischen Öle der Kräuter und Wiesenblumen freisetzt und so ein Stoffaustausch stattfindet. Durch Kräuter waten anstatt in ihnen zu baden. Vielleicht fühlen sich meine Füße deshalb so erfrischt und belebt an?
„Wer Barfuss geht, setzt seinen Fuß auf unbekanntes Gelände, das geht nur, wenn ich mir selber vertraue, ich mit mir selber im Reinen bin“, erzählt Markus. Am Ende der Wiese wird es felsiger. Inzwischen vertraue ich meinen nackten Füßen und gehe vorsichtig weiter, über Wurzeln und Steine und klettere sogar auf einen Felsvorsprung.
Während wir auf dem Felsen sitzen und die Blicke in die Ferne schweifen lassen, fange ich an zu begreifen, dass das Barfussgehen viel mehr ist, als keine Schuhe zu tragen. Barfuss in dieser herrlichen Umgebung des Hochschwarzwalds unterwegs zu sein, verbindet mich auf eine völlig neue Art mit meiner Umgebung. Es ist das Urvertrauen in die Erde, die Heimat, die Halt gibt und mich spüren lässt, dass ich untrennbar mit der wunderbaren Natur des Hochschwarzwalds verbunden bin. Ich fühle mich auf fantastische Weise beschwingt und erfrischt. Mit meinen Füßen habe ich die wundersamen Kräfte des Schwarzwalds aufgenommen, mit denen ich nun geerdet und gestärkt in den Alltag zurückkehren kann.
Gut zu wissen
Wer gerne ein Barfuss-Seminar besuchen möchte, kontaktiert Markus Dutschke über www.barfussing.de