Treue Helfer beim Schwarzwaldpokal in Schonach

Zämme (ab)hebe!
12.09.2022

von Patrick Kunkel

Der Schwarzwaldpokal der Nordischen Kombinierer in Schonach ist legendär und sorgt für Höhenflüge bei Sportlern, Zuschauern und Helfern. Das halbe Dorf packt jedes Jahr mit an, um die Tradition am Leben zu erhalten. Und am Ende? Wird gefeiert. Aber so richtig.

Zzzzzsssschschschsch! Die Skier zischen in der Anlaufspur, das Geräusch wird lauter - von null auf hundert in kaum drei Sekunden. Oliver Zinapold steht ganz nah am Schanzentisch. Skeptische Miene, prüfender Blick: Alles gut? Die Springerin hebt ab.

Siebzig Meter. Achtzig. Flug ins Leere und der Sprunghang so steil, dass einem schon beim Herunterschauen schwindelt. Mit sattem Knall klatschen die Skier auf den Schnee. „Fünfundneunzig Meter!“, krächzt es aus den Lautsprechern.

Weltcup Schwarzwaldpokal Schonach

Die Sportler starten bei strahlendem Sonnenschein in das Wettkampfwochenende © Patrick Kunkel

Schanzenchef Zinapold ist zufrieden mit dem Probedurchlauf: „Tipptopp“, befindet der freundliche Hüne. Kann schließlich auch einiges schief gehen beim Präparieren der perfekten Anlaufspur: Zu warm. Zu viel Schnee. Zu feucht: „Dann kleben die Ski in der Spur“, sagt Zinapold. Nicht gut. Und kaum einer weiß so gut wie Zinapold, worauf es ankommt. „Ich bin jetzt seit 41 Jahren dabei. Mit elf Jahren fing das an. Da wird man reingeboren. Meine Eltern haben lange die Schanzenhütte des Skiclubs gemacht, davor die Großeltern.“

Und jetzt er. In dritter Generation. Zinapold ist als Schanzenchef zuständig für die perfekte Spur. Im Haupterwerb schnitzt der Holzbildhauer Kuckucksuhren. Und hier feilt er eben an der perfekten Skisprungspur.  „Die Spur ist das Heiligste beim Skispringen“, sagt er: „Skispringen ist ein Spiel mit dem Grenzbereich. Da sollte alles einwandfrei sein.“

"Skispringen ist ein Spiel mit dem Grenzbereich. Da sollte alles einwandfrei sein.“
(Oliver Zinapold)

Seit fast zehn Jahren sorgt der 52-jährige Schonacher dafür, dass die weltbesten Nordischen Kombinierer beim traditionellen Schwarzwald-Pokal optimale Bedingungen haben. Ein Profi im Ehrenamt sozusagen, erst als Stellvertreter und jetzt als Chef des Schanzenteams – so nennen sie hier den Trupp skisprungverrückter Freiwilliger, die jedes Jahr pünktlich zum Weltcup im März mit Schneeschippen, Besen und allem möglichen Gerät die Langenwaldschanze hegen und pflegen, das Heiligtum des Skiclub Schonach: „Ich koordiniere alles, helfe mit, wo es geht. Bei mir laufen alle Fäden zusammen. Seit über einer Woche bin ich komplett im Einsatz.“

Der Schwarzwaldpokal in Schonach bildet seit einigen Jahren das große Finale der Weltcup-Saison. Hier fallen die letzten Entscheidungen und werden die Sieger der Gesamtwertung geehrt. Während die großen Stars der Szene um den Norweger Jarl Magnus Riiber, den Japaner Akito Watabe oder Lokalmatador Fabian Rießle aus St. Märgen um die beste Weite kämpfen, ringt Zinapold mit den frühlingshaften Temperaturen: „Die Spur ist 100 Meter lang, 15 davon liegen in der Sonne. Zum Glück haben wir die Spurkühlung.“ Deren Generator brummt seit Tagen ununterbrochen auf Hochtouren und kühlt die Spur auf eisige zehn Grad minus herunter. Aber das hilft auch nicht mehr, wenn die Sonne direkt auf die Spur knallt.

Weltcup Schwarzwaldpokal Schonach

Die Spur muss vor und nach den Wettkämpfen vor der strahlenden Sonne geschützt werden. © Patrick Kunkel

Mit Thermofolie trotzen Zinapold und seine Jungs der Sonne – klappt, die Spur hält, während Wald und Wiesen ringsum längst sattgrün und vor allem weitgehend schneefrei daliegen. „Dieses Mal haben wir vorgesorgt und genug Schnee gebunkert“, sagt Dieter Linne stolz, auch er seit über dreißig Jahren als Helfer mit dabei.

Mit seinem Radlader schaufelt Linne Tonnen von gebunkertem Schnee aus dem eigens angelegten Depot und lädt das wertvolle Weiß dort ab, wo es gebraucht wird. Auch wenn Schneemangel in diesem Jahr kein Thema ist: Die Anspannung, das weiß Zinapold aus Erfahrung, wird erst am Sonntag nachlassen, wenn der letzte Wettkämpfer im Auslauf abgeschwungen ist. „18 Helfer stehen auf meiner Liste“, sagt Zinapold – und das sind nur die, die sich oben an der Schanze um den Anlauf kümmern.

Weltcup Schwarzwaldpokal Schonach - Freiwillige Helfer

Freiwillige Helfer strahlen beim Schwarzwaldpokal mit der Sonne um die Wette © Patrick Kunkel

Weiter unten, am anderen Ende der Anlage, steht Jürgen Kammerer, Maurermeister, der am Weltcup-Wochenende zwanzig Freiwillige koordiniert: „Mein Job ist der Aufsprunghang und der Auslauf. Da ist wichtig, dass wir ein sauberes Bett haben, damit die Springer perfekt landen können.“ Gerade dirigiert er Loipenfahrer Benjamin Duffner, der mit seinem fünf Tonnen schweren Pistenbully im Halbrund des Auslaufbereichs zugange ist: „Heute mache ich den Auslauf, den fräse ich auf, damit es etwas weicher wird. Die Sprungski, die haben ja keine Kanten, ich mache das, dass die Springer besseren Halt haben und sie besser abschwingen können im weicheren Schnee.“

Duffner ist einer der wenigen Hauptamtlichen hier, er ist als Loipenfahrer bei der Gemeinde angestellt, aber vor dem Weltcup schiebt auch er die ein oder andere unbezahlte Überstunde: „Vor dem Weltcup bin ich eigentlich jeden Tag unterwegs. Die Loipe verdichten, die Schanze verdichten. Selbst, wenn keiner darauf fährt. So entsteht eine Sohle aus Eis. Das ist wichtig, wenn doch mal Tauwetter kommt, dann kannst du darüber aufbauen.“

Weltcup Schwarzwaldpokal Schonach

Die Pisten Bully Fahrer geben alles, um die Schanze in optimalen Zustand zu versetzen. © Patrick Kunkel

Jürgen Kammerer hat sich für den Schwarzwaldpokal eigens ein paar Tage frei genommen – um an der Sprungschanze umso mehr ranzuklotzen: „Ist doch klar: Das ganze Dorf hilft mit. Bei uns ist das Vereinsleben noch lebendig. Man kriegt viel und das kann man am besten zurückgeben, wenn man was macht.“ Dann grinst er: „Und wir sind ein super Team. Ein Bier trinken und zusammensitzen, das gehört halt auch dazu. Und macht Spaß.“

"Ein Bier trinken und zusammensitzen, das gehört halt auch dazu."
(Jürgen Kammerer)

Unter der Schanze, in der Schanzenhütte, kümmert sich Christine Dold ums leibliche Wohl der Ehrenamtlichen. „Mein Bruder leitet das Trittkommando, also die, die der Aufsprungbahn mit den Kanten ihrer Ski den letzten Schliff verleihen. So bin ich dazukommen.“ Seit zwei Jahren hat die 54-Jährige in der Schanzenütte den Hut auf: „Brötchen schmieren, Suppe kochen, heißen Tee, solche Sachen. Jetzt ist das Wetter gut, aber wir hatten schon Jahre, da war draußen Weltuntergang.“ Dann päppelt sie zusammen mit ihrem zehnköpfigen Team halb erfrorene oder komplett durchnässte Frauen und Männer wieder auf. „Die brauchen dann was Heißes und vielleicht auch mal ein paar aufmunternde Worte.“ Denn eines sei ja wohl klar: Ob Starkregen, Dauerfrost oder Schneesturm: „Unsere Leute sind da draußen und lassen sich von nichts abhalten, die Schanze zu richten. Außer, es hat zu wenig Schnee.“

Weltcup Schwarzwaldpokal Schonach - Freiwillige Helfer

Das Trittkommando verleiht der Skisprungschanze mit den Skikanten Ihren letzten Schliff. © Patrick Kunkel

„Ohne Helfer würde der Schwarzwald-Pokal nicht funktionieren und die Kosten würden ins Uferlose gehen“, sagt am Tag drauf auch Lothar Dold, Chef des Weitenmesser-Teams und im echten Leben Wirt der Wandergaststätte Kreuzmoos. Die Probeläufe sind durch, heute ist erster Wettkampftag: Dold wohnt direkt am Hang gegenüber, die Sprungschanze immer im Blick. Und um einen scharfen Blick geht es auch beim Job des Weitenmessers.

„Distance Referee“ steht auf Dolds Akkreditierungskarte aus Plastik. Gemeinsam mit acht anderen Messrichterinnen und Messrichtern steht er direkt am Rand steilen Aufsprungbahn. „Es wird natürlich auch elektronisch gemessen. Aber wenn die Abweichung zwischen Elektronik und uns zu groß ist, dann gibt es meistens einen Fehler. Da geht es manchmal um mehrere Meter.“ Schonach sei der letzte Ausrichter im Weltcup, der noch mit menschlichen Weitenmessern arbeitet: „Eine gute Tradition“, findet Dold. Er macht den Job nun seit sieben Jahren und sei als Helfer schon seit Kindesbeinen dabei. Wie die meisten hier: „Der Vater war immer aktiv, dann sind wir da reingewachsen. Einmal dabei, immer dabei.“  Was man können müsse, um dabei zu sein? „Natürlich anpacke könne“, sagt Dold. „Und Schonacher sein!“

Weltcup Schwarzwaldpokal Schonach

Unter gespannten Blicken landet die internationale Skisprungelite auf dem perfekt präparierten Aufsprunghang © Patrick Kunkel

Wobei man das hier nicht so eng sieht: „Ich komme seit 1984 hierher und so lange helfe ich auch beim Weltcup“, sagt Josef Weber. Sein Heimatort: Schuld im Ahrtal in der Eifel. Seine zweite Heimat: Schonach.  Zwei Wochen lang macht er mit seiner Frau vor Ort Urlaub, zehn Tage davon hilft er auf der Langlaufloipe mit, schraubt Werbebanden zusammen, baut Tribünen auf – und genießt es offensichtlich, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein: „Nur mit den Schwarzwälderischen hapert es“, sagt er grinsend in seinem Eifler Zungenschlag, schnappt sich einen Hammer und klopft weiter auf einer Holzbrüstung herum.

Für Cheforganisatorin Benita Hansmann von der Gemeinde Schonach machen solche Geschichten das Besondere am Schwarzwaldpokal aus: „Einerseits sind wir eine eingeschworene Gemeinschaft. Und andererseits aber auch total offen. Das muss man sich mal vorstellen: Jedes Jahr helfen über 400 Menschen auf der Loipe, der Schanze oder im Haus des Gastes mit, diese Riesenveranstaltung auf die Beine zu stellen. Einfach so. Da steht das ganze Dorf Kopf. Schonach ohne Weltcup kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich kenne es gar nicht anders.“

"Einerseits sind wir eine eingeschworene Gemeinschaft. Und andererseits aber auch total offen."
(Benita Hansmann)

Für die 27-jährige Hansmann, selbst ehemalige Skispringerin, ist klar: „Natürlich ist es auch die Liebe zum Sport, die alle mehr oder weniger umtreibt. Aber es geht vor allem um die Gemeinschaft. Das stärkt total, man trifft sich auch immer wieder zum Schwarzwaldpokal.“ Es sei wie ein „laufendes System“, findet Hansmann, ein Generationenprojekt: „Die Kinder werden immer größer, irgendwann machen sie dann mit und werden als Erwachsene selbst zu den Verantwortlichen. Das macht total Spaß.“

Aber eines scheint alle gleichermaßen zu motivieren – und wer weiß, vielleicht ist das die heimliche Hauptsache: Die Party danach. Auch die Stars sind meistens dabei, denn nach dem Weltcup in Schonach endet die Saison und für sie steht der Urlaub an. „Das ist immer extrem schön“, sagt Hansmann: „Wenn alle ausgelassen feiern, Sportler, Helfer, Dorfbewohner, und keiner hat Berührungsängste. Das ist total familiär, der Reiz des Finales.“ Dann hebt Schonach noch ein letztes Mal ab. Bis zum nächsten Jahr.

Mehr Informationen

  • Schwarzwaldpokal 
    in Schonach mit FIS Weltcup Nordische Kombination:
    10.-12. Februar 2023
  • Langenwaldschanze Schonach
    Die Skisprungschanze ist seit 1924 Austragungsort für zahlreiche internationale Wettbewerbe. In den Sommermonaten kann sie immer mittwochs besichtigt werden. 
  • Virtual Skijumping
    Du hast Lust, einmal wie ein Profi-Skispringer die Schanze hinabzusausen und dann über den Hang zu gleiten? Beim virtuellen Skisprung mittels VR-Brille kommst Du diesem Gefühl ganz nah!