Die Hüter der Weißtanne

Försterfamilie Hockenjos und der Zweribach
21.02.2019

von Patrick Kunkel

Dem Wald verfallen: Die tiefe Liebe zum Wald hat Wolf Hockenjos von seinem Vater Fritz geerbt. Beide waren Förster und beide haben die Landschaften des Hochschwarzwaldes geprägt wie kaum andere.

„Warst Du wieder bei deiner Braut?“ Wolf Hockenjos lächelt bei der Erinnerung: „Das fragte meine Mutter immer, wenn der Vater mal wieder in der Wutachschlucht war und mit Dreckstiefeln nach Hause kam. Er war oft unterwegs, und am liebsten natürlich draußen im Wald.“

Und seine Kinder nahm Fritz Hockenjos, der einstige Förster von St. Märgen, oft mit, damals, in den 1950er-Jahren. Im Pfisterwald in St. Märgen und im wilden Bergwald des Zweribachs hat sich auch sein Sohn Wolf mit dem Virus infiziert: „Lange, lange ist es her“, sinniert der 78-jährige Wolf Hockenjos, heute selbst schon längst pensionierter Förster, am Küchentisch seiner Wohnung in Donaueschingen.

Wolf Hockenjos
Wolf Hockenjos © Hockenjos

„Wir wuchsen im Forsthaus auf und der Pfisterwald war unser Abenteuerspielplatz, wo wir unsere Baumhäuser gebaut und unsere Indianerkämpfe bestritten haben“, erinnert er sich: „Hier wurde der Grundstein gelegt für mein Faible – und die Liebe zur Weißtanne habe ich wohl von meinem Vater geerbt.“ Auch Wolf Hockenjos ist Waldhüter, mit Leib und Seele, denn Förster bleibt eben Förster. Und vom Wald kann er nicht lassen. „Meine Tochter sagt immer: Die Liebe zum Wald und zur Wildnis steckt euch in den Genen“, grinst er.

Fritz und Wolf Hockenjos eint nicht nur diese Leidenschaft und die Wahl des Försterberufs: Vater wie Sohn haben jeweils auf ihre Art den Hochschwarzwald und seine Landschaften geprägt, wie kaum andere: So hat der leidenschaftliche Langläufer Wolf Hockenjos in den 70er-Jahren die Thurnerspur und den Fernskiwanderweg Schonach-Belchen mit aus der Taufe gehoben. Er fotografiert und schreibt - bis heute - Artikel über Forstthemen und immer wieder geradezu leidenschaftliche Fachbücher über Wald und Bäume. Und er reist umher, um über naturnahe Forstwirtschaft vorzutragen oder außergewöhnliche Baumschönheiten in abgelegenen Bergregionen aufzuspüren, die er dann für die Nachwelt mit der Kamera dokumentiert.

Fritz Hockenjos
Fritz Hockenjos © Wolf Hockenjos

Einsatz für den Hochschwarzwald

Fritz Hockenjos starb 1995, doch im Hochschwarzwald ist er bekannt wie ein bunter Hund. Kein Wunder: lange Jahre, von 1948 bis 1974, leitete er das Forstamt in St. Märgen. Er war Präsident des Schwarzwaldvereins, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Heimatschutz Schwarzwald, dazu auch noch Buchautor und leidenschaftlicher Fotograf, der nicht nur die Wälder, sondern auch die Menschen des Hochschwarzwalds zu seiner Zeit ablichtete.

Vor allem aber war er ein rebellischer Schwarzwälder Starrkopf, der um den Erhalt der Landschaft und Wälder des Hochschwarzwaldes kämpfte wie kaum ein anderer und sich dafür, wenn es sein musste, auch mit der Obrigkeit anlegte: „Er war nicht gerade diplomatisch, wenn es um den Erhalt von Natur und Landschaft ging“, sagt sein Sohn. Aber er hatte Erfolg: Die Wutachschlucht bewahrte er vor der Flutung, indem er die Arbeitsgemeinschaft Heimatschutz zur ersten Bürgerinitiative der Bundesrepublik machte – lange vor dem Aufkommen der Umweltbewegung. Er trug maßgeblich zur Verhinderung der einst geplanten Schwarzwaldautobahn bei und zur Rettung etlicher alter Schwarzwaldhöfe. Und auch der heute so schön verwunschene Bannwald Zweribach geht auf sein Konto.

Fritz Hockenjos überließ die Natur sich selbst. So entstand der Bannwald am Zweribach
Fritz Hockenjos überließ die Natur sich selbst. So entstand der Bannwald am Zweribach © Wolf Hockenjos

Kein Zweifel: Ohne Fritz Hockenjos sähe der Hochschwarzwald heute anders aus. Umtriebig und überaus aktiv muss man ihn sich wohl vorstellen. Doch woher kam all diese Energie? „Mein Vater wurde Förster aus Liebe zum Wald“, sagt Wolf Hockenjos: „Er liebte die Wildnis, doch vor allem war er der Weißtanne verfallen, denn sie ist der Charakterbaum des Schwarzwalds. Selbst nach der Pensionierung ist er immer mit Rucksäckle und Kamera losgezogen, auch im hohen Alter. Im Herbst hat er sich leidenschaftlich mit Tännleschützen die Zeit vertrieben und die Knospen der jungen Bäume mit Schafwolle umhüllt und so vor Rehverbiss geschützt.“

Fritz Hockenjos beim Begutachten eines Baumes
Fritz Hockenjos beim Begutachten eines Baumes © Fritz Hockenjos

Doch in die Rückschau mischen sich auch nachdenkliche Töne: „Mein Vater war Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er hat ein Kriegstagebuch hinterlassen, samt einer Fülle zumeist schaurig-authentischer Fotos.“ Ihm seien dadurch die Augen dafür geöffnet worden, sagt Wolf Hockenjos, was der Krieg aus einem Menschen machen kann. „Mein Vater hatte auch Seiten, die aus heutiger Sicht nicht verständlich sind. Aber immerhin: Er scheint er nach der Kriegsgefangenschaft seine Lektion in Sachen Demokratie und Zivilgesellschaft gelernt zu haben.“

Der Bannwald am Zweribach

Trotz der „dunklen Seiten“ des Vaters überwiegt für Wolf Hockenjos der positive Blick auf das Vermächtnis des Vaters: „Was das Waldkundliche angeht, da liegen wir sehr nah beieinander.“ Wer diese gemeinsame Leidenschaft verstehen will, der sollte am besten selbst in den Wald gehen und mit eigenen Augen betrachten, was die beiden Förster so in Verzückung zu versetzen vermag: Ein verblockter, steiler Pfad führt tief hinein in den Bannwald am Zweribach. „Hier entsteht der Urwald von Morgen“ verkündet ein Schild. Riesige Baumstämme liegen in allen Stadien des Verfalls zwischen moosüberzogenen Felsbrocken. Hier und da gibt der dichte Waldpelz alte Mauerreste frei und lässt erahnen, dass es hier einmal etwas anderes gab als urwüchsig scheinende Waldwildnis.

Der Bannwald am Zweribach
Der Bannwald am Zweribach © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

„Das Gebiet war schon immer schwer zugänglich“, sagt Wolf Hockenjos: „Doch 1950 richtete ein heftiger Sommersturm ein solches Chaos an, dass mein Vater beschloss, den Wald künftig nicht mehr forstwirtschaftlich zu nutzen.“ Das Sturmholz lag kreuz und quer, mächtige Stämme wie Mikadostäbchen ineinander verkeilt, und der St. Märgener Förster Fritz Hockenjos entschied sich dafür, sie liegenzulassen. Das war die Gründungsstunde des ersten Bannwalds in Baden-Württemberg. 1952 wurde das Schutzgebiet ausgewiesen.

Aufnahmen über Generationen hinweg

Fritz Hockenjos hat viel und in mitreißenden, bildreichen Worten darüber geschrieben, wie sich aus der bäuerlichen Kulturlandschaft Wildnis entwickelte. Vor allem aber hat er eindrückliche Aufnahmen hinterlassen: Ein Schwarzweißfoto von 1950 etwa zeigt drei barfüßige Buben, die über eine freie Gebirgswiese laufen - die Mähwiese des ehemaligen Brunehofs. In der Mitte ein frei stehender Bergahorn, im Hintergrund, am steilen Gegenhang, wuchert ein prächtiger Mischwald. Ein idyllisches Bild – und man kann es fast spüren, wie hier Wolf Hockenjos‘ Liebe zum Wald entflammte: Mit der Familie hatte er in der zur Ferienhütte umgebauten Hirschbachmühle einst seine Sommer verbracht. Als kleiner Junge pflückte er Himbeeren im stetig vorrückenden Wald rund um die Mühle und später als Student nahm er sich vor, „den Prozess der Rückverwilderung des Talkessels fortan mit der Kamera“ weiterzuverfolgen.

Die Hirschbachmühle - idyllisch zwischen Tannen gelegen - war ein Ferienparadies für die Kinder
Die Hirschbachmühle - idyllisch zwischen Tannen gelegen - war ein Ferienparadies für die Kinder © Fritz Hockenjos

Wolf Hockenjos legt ein Foto vor, dass über 50 Jahre später am gleichen Ort aufgenommen wurde: Dichter Wald wuchert dort, wo einst die Wiese war. Zwei ältere Herren stehen zwischen aufgeschossenen, dürren Jungbäumen: „Mein Bruder Klaus und ich“, erklärt Wolf Hockenjos. Fritz, der ältere, nach dem Vater benannte Bruder, war bereits gestorben und die Hirschbachmühle, das Ferienparadies der Buben, war längst schon eine überwucherte Ruine, zwischen deren Resten junge Weißtannen hochkommen.

Die Wildnis. Die Weißtanne. Auch Wolf Hockenjos ist ihr seit damals verfallen: „Die Weißtannen haben es mir angetan, ein ganzes Berufsleben lang und auch darüber hinaus.“ Und wie einst sein Vater greift auch Wolf Hockenjos bis heute zu Kamera und Tastatur, wenn ihm der Schwarzwald und seine Landschaft bedroht erscheinen.

Heute hat sich der Wald das Gelände der Hirschbachmühle zurück geholt
Heute hat sich der Wald das Gelände der Hirschbachmühle zurück geholt © Wolf Hockenjos

Im Laufe des Gesprächs kramt er eine Publikation nach der nächsten hervor. Am Ende liegt ein beachtlicher Stapel Bücher und Fachzeitschriften auf dem Küchentisch: „Wo Wildnis entsteht“ heißt sein Buch über den Bannwald Zweribach, „Tannenbäume“ seine Hommage an den Charakterbaum des Schwarzwalds. „Begegnungen mit Bäumen“ lautet der Titel seines ersten Fotobandes über alte und beeindruckende Baumoriginale in Baden und Württemberg. Auch Wolf Hockenjos‘ Fotos zeugen von der tiefen Liebe zum Wald: „Wenn ich im Wald unterwegs bin, dann sehe ich natürlich viel durch die forstliche Brille. Aber die Ästhetik des Waldes und der Waldwildnis zieht mich immer wieder in ihren Bann. Und beim Duft der Grünerlen muss ich immer wieder an die Sommer meiner Kindheit im Zweribach denken.“

Gut zu wissen

Auf schmalen Pfaden zu versteckten Wasserfällen: Der mystische Bannwald rund um die beliebten Zweribachfälle lässt sich am besten im Rahmen einer Wanderung von St. Märgen aus erkunden. Auf gut 12 Kilometern bietet die Tour wunderschöne Ausblicke in das Wildgutach- und das obere Simonswäldertal und führt ins Herz des Naturschutzgebietes Zweribach.