St.-Oswald-Kapelle

Ein Kleinod im Höllental
29.10.2021

von Gabriele Hennicke

Selbst viele Einheimische kennen sie nicht. Dabei ist die St.-Oswald-Kapelle, die 1148 vom Konstanzer Bischof eingeweiht wurde, die älteste erhaltene Kirche im Südschwarzwald. Die Kapelle bei der Ravennaschlucht liegt nur wenige hundert Meter unterhalb des bekannten und von vielen Gästen besuchten Hofguts Sternen im Höllental. Verborgen hinter Bäumen, dennoch ganz in der Nähe der viel befahrenen Bundesstraße, die von Freiburg durchs Höllental hinauf in den Hochschwarzwald führt. 

Was hat die Menschen im 12. Jahrhundert wohl veranlasst, an dieser Stelle eine Kirche zu bauen? Trotz intensiver Forschungen weiß man das auch 900 Jahre später nicht genau. Lange Zeit war man davon ausgegangen, dass die Kapelle Ausgangsort für die Besiedlung von Hinterzarten und Breitnau war. Vermutungen weisen auf den Bau der Kapelle als Dank für die Rückkehr von Kreuzzugteilnehmern aus Falkensteig, andere auf den Heiligen Oswald als Schutzpatron der schwer arbeitenden Zugtiere beim Aufstieg ins Löffeltal, das hinauf nach Hinterzarten führt. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass die Besiedlung des Hochschwarzwaldes auf den Höhen begann und die Kapelle eine Filialkirche der Breitnauer Pfarrei war, in Breitnau muss es also zuvor eine Kirche gegeben haben. Nachdem das heutige Hinterzarten wegen einer Schwefelquelle Anfang des 15. Jahrhunderts zum Wallfahrtsort wurde, baute man dort die Kapelle „Maria von der Zarten“ und St. Oswald wurde Teil des dortigen Pfarrbezirks. Heute finden in der Kapelle jeweils an Christi Himmelfahrt und rund um das Patrozinium, den Gedenktag des Heiligen Oswald am 5. August, Gottesdienste statt.

St. Oswald Kapelle
© Hochschwarzwald Tourismus GmbH

Als Anbau befindet sich an der Kapelle ein Beinhaus, ein sogenanntes Ossarium. Hier wurden die verbliebenen Gebeine des einst rund um das Kirchlein gelegenen Friedhofs aufbewahrt. Der Breitnauer Schauspieler Martin Wangler kennt die Kapelle gut. „Das Beinhaus hat mich vor allem als Kind stark beeindruckt. Es war schon gruselig, dass das alles Knochen von ‚echten Menschen‘ sind“, sagt Wangler. Heute schätzt er die Kapelle vor allen Dingen wegen ihrer Schlichtheit und der tollen Akustik. „Die Geschichte hinter der Kapelle hat mich nicht losgelassen. Ich wollte dafür sorgen, dass die Kapelle nicht in Vergessenheit gerät. Irgendwann entstand die Idee, dort ein Theaterstück aufzuführen“, so Wangler. Die Kapelle wäre ein idealer Aufführungsort für das 600 Jahre alte Stück „Der Ackermann und der Tod“, befand der Freiburger Regisseur Peter Willi Hermanns, dem der Schauspieler die Kapelle zeigte. Auch der Pfarrer von Hinterzarten unterstützte das Vorhaben und stellte den Gottesraum für dieses Theaterstück zur Verfügung. Das Schauspiel mit Vokalmusik nach dem Text von Johannes von Tepl scheint wie für die St.-Oswald-Kapelle gemacht: Der Ackermann rebelliert gegen den Tod, der ihm die Frau im Kindbett genommen hat. Das Streitgespräch zwischen Mensch und Tod ist heute so aktuell wie vor 600 Jahren und lässt keinen unberührt. Im Herbst 2021 fanden an sieben Sonntagen Aufführungen mit Martin Wangler als Ackermann und Sybille Dengler als Tod statt, für das Jahr 2022 sind weitere Termine geplant.

St. Oswald Innenraum

Innenraum © Gabriele Hennicke

Eindeutiger als die Angaben zur Gründung der Kapelle sind die Informationen zum Heiligen Oswald, dem Namenspatron des Sakralbaus: Er galt als Patron der Kreuzfahrer, der Erntehelfer (Schnitter) und wird zum Schutz für die Ernte und vor der Pest angerufen. Oswald war der Sohn eines Königs im Norden Englands; im Jahr 604 geboren, war er christlicher Missionar und Märtyrer. Einige Wallfahrtskapellen im Schwarzwald sind nach ihm benannt, auch im Turm des Freiburger Münsters gibt es eine St.-Oswald-Darstellung aus dem Jahr 1280.

In der kleinen Kapelle im Höllental ist der Heilige Oswald auf dem spätgotischen Hochaltar mit klappbaren Flügeln aus der Zeit um 1515 abgebildet. Dieser soll aus der Werkstatt des bekannten Malers Hans Baldung Grien stammen, der damals im Freiburger Münster arbeitete. Umrahmt wird St. Oswald von St. Sebastian und dem Erzengel Michael mit der Seelenwaage. 

In den über 870 Jahren ihres Bestehens hat sich die Kapelle stark verändert, immer wieder wurde angebaut. Im Jahr 1208 zunächst die Sakristei, die im 14. Jahrhundert im gotischen Stil vergrößert wurde. 1674 wurde der hölzerne Turm hinzugefügt, 1719 erfolgte eine barocke Erweiterung des Kirchenschiffs und der Bau der Empore.

Besonders wertvoll sind die drei Glocken der St.-Oswald-Kapelle. Die beiden kleineren aus dem Jahr 1503 tragen als Aufschrift die Bitte um Frieden und Schutz vor Blitz und Ungewitter. Auf allen drei Glocken findet man Reliefs von St. Oswald als König mit Zepter und Pokal und von St. Michael als Ritter im Kampf mit dem Teufel. Die große Glocke wurde im Jahr 1581 gegossen. Viele Jahrzehnte sollten allerdings vergehen, bis die Glocken ihren Platz im Kirchturm fanden – dieser wurde nämlich erst im Jahr 1674 an die ursprünglich romanische Kirche angebaut. Seitlich vom Altar hängen die Glockenzüge, und Martin Wangler lässt es sich nicht nehmen, die Glocken zum Läuten zu bringen. Die kleine Glocke mit dem höchsten Ton fungiert auch als Totenglöcklein, weiß er. Natürlich erklingt sie auch am Ende des mittelalterlichen Schauspiels, wenn der Tod sagt: „Doch dies ist das allergrößte, dass der Mensch nicht weiß, wann, wo und wie ich ihn plötzlich überfalle.“