Cego verbrüdert
Cego ist ein Familienklassiker. Viele Hochschwarzwälder lernten das badische Kartenspiel von ihren Eltern oder Großeltern und brachten es später ihren eigenen Kindern bei. Wer das Spiel hingegen nicht zuhause gelernt hat, kann Cegobrüder oder -schwestern immer noch in zahlreichen Wirtshäusern im Hochschwarzwald antreffen – etwa im Schützen in Neustadt.
Es ist Freitagabend – Cegozeit im Raucherabteil des Neustädter Wirtshauses Schützen. Am kleinen Fenstertisch warten sie hinter blauen Schwaden auf den vierten Mann. Gerd Fehrenbach, drahtige Statur, Glatze und mit 64 im besten Cegoalter, klopft ein paar Sprüche und nennt einen Gast „Dachlatte“. Im Lokal erschallt Bronchialgelächter. Gäbe es den Begriff „rustikal“ noch nicht, er müsste für den Schützen erfunden werden.
Der Abend beginnt mit einer kleinen Sensation. Boris Kalchschmidt legt seine Karten auf den Tisch und bringt selbst die erfahrensten Cegoisten – wie die Spieler sich augenzwinkernd selbst bezeichnen – zum Staunen. Abgebildet sind Königin Elisabeth, Marie-Antoinette und Ludwig XIV. „Alles echte Persönlichkeiten“, schwärmt Gerd Fehrenbach und blättert weiter. „So einen Gstieß hasch noch nie g‘sehe. Wie g‘malt.“ Der Gstieß ist der höchste Trumpf beim Cego. Kalchschmidt hat die Karten auf einem alten Speicher entdeckt. Herkunft und Alter sind unbekannt. Aber alle am Tisch sind sich einig: Bei dem Fund handelt es sich um eine Rarität. Auf der vergilbten Packung kann man noch einen Stempel der „B. Dondorf GmbH“ erkennen, einer Frankfurter Spielkartendruckerei, die unter diesem Namen zwischen 1905 und 1928 firmiert haben soll.
Mit Tobias Streibel, dem vierten Mann, ist die Runde schließlich vollzählig. Es kann losgehen. „Fort Solo“, sagt Fehrenbach. Auch seine drei Kartenbrüder geben an, für eine Solopartie nicht genügend Trümpfe auf der Hand zu haben. Kalchschmidt reizt schließlich am höchsten und nimmt den noch zugedeckten Kartenstapel aus der Mitte an sich. Weil er nicht weiß, was ihn erwartet, spricht man von den Karten „aus dem Blinden“.
Gegen 21 Uhr hat sich im Schützen auch der zweite Cegostammtisch komplettiert, in einer schummrigen Nische neben der Garderobe. Als vierter Mann ist der bärtige Schützenwirt eingesprungen, den hier alle nur Turbo nennen. „Cego Champions League“ steht auf ihrem kleinen Holzpokal. „Eigentlich müsste da C-Klasse draufstehen“, ruft es vom Fenstertisch. Frotzeleien gehören unter Cegoisten zum guten Ton.
Am Champions-League-Tisch sitzt auch der 75-jährige Christian Streibel. Er kam 1954 aus Niedersachen in den Hochschwarzwald. In seiner neuen Heimat hat der ehemalige Skatbruder bald auf Cego umgeschult. Gelernt hat er das Spiel in der Kneipe, sein Sohn Tobias, der am Fenstertisch spielt, ebenfalls. „Cego ist lustiger als Skat“, sagt Streibel senior. „Und vielfältiger“, ergänzt ein Gast an der Theke. Es ist Walter Löffler, ein ausgewiesener Fachmann. In den 1980er-Jahren hatte er für den Hochschwarzwald-Kurier einmal eine Cego-Serie geschrieben, die wegen der hohen Nachfrage später als Broschüre herausgegeben wurde. Löffler war selbst viele Jahre aktiver Cegospieler, jetzt ist er Zuschauer. Seine neue Rolle birgt allerdings Risiken, wie er zu berichten weiß: „Einmal habe ich in der zweiten Reihe den Mundwinkel verzogen. Das hat man mir als geheimes Zeichen ausgelegt und kostete mich eine Runde Schnaps.“
Gerd Faller, mit 79 der Senior am Champions-League-Tisch, hat es mit dem Rest aufgenommen und sieht mit seinen Karten aus dem Blinden kein Land. Er hegt den Verdacht, jemand hat ein Solo verschwiegen. „Ihr Schinder!“, schimpft er. Turbo muss schmunzeln: „Schinden gehört dazu.“
Beim Cego geht es um Centbeträge. Verliert man eine Runde „Räuber“, bei der so wenige Stiche wie möglich gemacht werden sollen, wird man maximal acht Euro los. Dann muss aber wirklich alles schiefgehen. Der Erlös des Abends landet im Aschenbecher und später in der gemeinsamen Kasse. Nach drei Jahren kommt so viel Geld zusammen, dass es für eine Reise reicht. „Wir waren mit dem Geld schon fünfmal in Las Vegas“, behauptet Fehrenbach. Man weiß oft nicht, was man glauben soll im Schützen. Denn Cegoisten können nicht nur schinden, sie sind auch Meister im Bluffen.
Badisches Spiel mit Spanischen Wurzeln
In Spanien gibt es ein altes Kartenspiel namens „L´Hombre“, bei dem man unbekannte Karten aufnimmt, also „blind“ spielt. Cegologen, wie der Schopfheimer Prof. Dr. Gregor Blümle, gehen davon aus, dass Soldaten aus dem Südschwarzwald, die um 1807 an der Seite Napoleons auf der Iberischen Halbinsel kämpften, dieses Kartenspiel entdeckt, mit ihren Tarockkarten nachgeahmt und später in ihren badischen Heimatdörfern verbreitet haben. Für diese Theorie gibt es zwar keinen eindeutigen Beweis, aber Indizien, die für sie sprechen. Zum Beispiel das spanische Wort für „blind“ – es heißt „ciego“. Cego bleibt weitgehend auf Baden beschränkt. Frühere Volkskundler sprachen auch vom badischen Nationalspiel. Noch heute hat es innerhalb seines Verbreitungsgebiets identitätsstiftende Wirkung. In Pfaffenweiler bei Villingen-Schwenningen werden alljährlich die Cego-Schwarzwaldmeisterschaften ausgetragen. In Hinterzarten organisiert ein Busunternehmen Cegoausfahrten. Der Breitnauer Kabarettist Martin Wangler bietet Cegokurse an der Volkshochschule an. Und Studenten der Hochschule Furtwangen haben eine Plattform für Online-Cego programmiert.