Heimat ist Trumpf

Ein Cego-Kartenspiel mit Schwarzwald-Motiven
09.10.2023

von Philipp Hermann

Nicht umsonst wurde Cego schon als „Badisches Nationalspiel“ bezeichnet. Hier, im südwestdeutschen Herrgottswinkel zwischen Breisgau, Bodensee und der Ortenau, ist das Kartenspiel zuhause. Das geläufigste Blatt, das Altenburger, tauchte vor rund zweihundert Jahren auf, das zweitgeläufigste der Firma FX Schmid wurde um 1923 gedruckt. Hundert Jahre lang blieb mehr oder weniger alles beim Alten. Bis zur zündenden Idee von Fox Schwörer.

Manche Erfindungen erscheinen so naheliegend und überfällig, dass man sich fragt, warum nicht schon viel früher jemand auf die Idee kam. Man denke an selbstfahrende Autos, Marmelade mit Biergeschmack oder eben: ein Cego mit Motiven aus dem Schwarzwald. „Ich habe mich auch gewundert, dass sich noch nie jemand da ran gewagt hat“, sagt Fox Schwörer. Die Neustädter Illustratorin mit dem Rotschopf hat sich getraut. Sie wird als die Frau in die Geschichtsbücher eingehen, die dem Kartenspiel, das zum Schwarzwald gehört wie Kuckucksuhr oder Fasnet, zum ersten Mal einen heimatlichen Look verpasst hat.

Eine Idee während der Corona-Pandemie

An einem Abend, als die Corona-Pandemie das öffentliche Leben lahmlegte, unterhielt sie sich zuhause in Neustadt mit ihrem älteren Bruder. Die beiden Geschwister erinnerten sich an früher, an ihre Kindheit in Waldau, wie es war, als die Oma noch lebte, mit der sie an Winterabenden oft Cego spielten. Fox Schwörer, die eigentlich Anita heißt und 1982 geboren wurde, habe sich mit der Beobachterrolle abgefunden. „Ich wollte es lernen, war aber total talentfrei“, sagt sie. Auch wenn die Enkelgeneration an dem Kartenspiel durchaus seine Freude hatte, empfand sie Cego damals als „Alte-Leute-Spiel“. Dieses Image hielt sich hartnäckig, und in den Folgejahren verschwand Cego aus Schwörers Horizont. Das änderte sich an jenem Abend in Neustadt.

Illustratorin Fox Schwörer bei der Arbeit

Illustratorin Fox Schwörer bei der Arbeit © Birgit-Cathrin Duval

Eine Hommage an die Region 

Cego ist Schwarzwald, aber den Karten sah man diese Verortung bislang nicht an. Auf den Trumpfkarten des Altenburger Blatts sind Nashörner und Eisbären abgebildet. Weiter weg von der regionalen Fauna geht kaum. Auf der Suche nach passenden Motiven holte sich Fox Schwörer Rat bei Achim Laber, dem Feldberg-Ranger, und Martin Wangler, dem Breitnauer Kabarettisten und aus der Serie „Die Fallers“ bekannten Schauspieler. Die beiden sind ausgewiesene Cego-Kenner. Wangler gibt Kurse an der Volkshochschule, Laber betreut die Website cego.de, wo er tief in die Historie des Spiels eintaucht und die örtlichen Unterschiede erforscht. Dort kann man nachlesen, dass in Löffingens Ortsteil Unadingen nach Regeln gespielt wird, „die gibt es sonst nirgends auf der Welt“. Und dass in Bernauer Cego-Kreisen „Mord“ und „Doppelmord“ zum Repertoire gehören. Sollte jemals an einer Universität ein Lehrstuhl für Cego eingerichtet werden, Laber wäre gesetzt.

Dass Fox Schwörer eine Aversion gegen Klischees hat, erleichterte die Motivsuche nicht gerade. Die Trümpfe, das stand früh fest, sollten mit Schwarzwaldtieren bedruckt werden. Auerhahn, Rothirsch, Wildschwein dürfen da nicht fehlen, aber auch Wiederkehrer wie der Wolf tauchen auf oder Auswanderer wie der Braunbär. Die Regenbogenforelle indes wurde aus dem Cego-Teich wieder rausgefischt, nachdem Laber auf deren kanadische Herkunft hinwies.

Cego ist ein Familienklassiker. Viele Hochschwarzwälder lernten das badische Kartenspiel von ihren Eltern oder Großeltern und brachten es später ihren eigenen Kindern bei.

Cego ist ein Familienklassiker. Viele Hochschwarzwälder lernten das badische Kartenspiel von ihren Eltern oder Großeltern und brachten es später ihren eigenen Kindern bei. © Hochschwarzwald Tourismus GmbH

"Mit Kunst verbinden wir die Hoffnung, dass von uns etwas bleibt, wenn wir alle schon weg sind."
(Fox Schwörer)

Auf der Suche nach Motiven

Die Königspaare tragen auf dem neuen Blatt Schwarzwälder Trachten, die vier Buben stellen historische Schwarzwaldberufe wie Glasbläser oder Köhler dar. Schwörer gehörte selbst viele Jahre einer Trachtengruppe in Sankt Märgen an, wo sie und ihre jungen Mitstreiterinnen „eigene künstlerische Wege gingen und deswegen vom Verband regelmäßig eins auf den Deckel bekamen“. Wie gesagt, Klischees sind nicht ihr Ding. Heiß diskutiert wurde daher auch die Frage, ob der Bollenhut auf die Karten draufgehört. Die Illustratorin bevorzugte einen Rosenhut. „Den kennt aber halt keine Sau“, räumt sie ein. Also rief sie auf Instagram ihre Follower zur Abstimmung auf, die sie am gesamten Entstehungsprozess teilhaben ließ.

Am längsten hütete sie das Geheimnis um den höchsten Trumpf, den Gstieß. Als Vorlage für diesen hofnarrenähnlichen Musikanten, auch „Giigemali“ genannt, nahm sie keinen Geringeren als Kabarettist Wangler. Als sie den Breitnauer um Erlaubnis bat, habe er vor Rührung fast geweint, erzählt Schwörer. Ähnlich sei es Feldberg-Ranger Achim Laber ergangen, der auf dem kleinsten Trumpf, der „Geiß“, abgebildet ist: „Er musste sich erstmal setzen, als er das erfahren hat.“ Auch auf sich selbst erlaubte die Künstlerin sich eine Anspielung: Den 11er-Trumpf ziert eine Füchsin mit Brille. „Mit Kunst verbinden wir auch die Hoffnung, dass von uns etwas bleibt, wenn wir alle schon weg sind“, sagt Fox Schwörer.

Fox Schwörer bei der Arbeit

Fox Schwörer bei der Arbeit © Birgit-Cathrin Duval

Gut Ding will Weile haben

Für die Gestaltung einer einzigen Karte feilte sie eine ganze Woche am Computer. Sie sei das Projekt „unerschrocken“ angegangen, sagt Schwörer, und sie hielt ihrem Stil die Treue: „Bloß keine geraden Linien!“ Herausgekommen ist ein frisches Blatt, das sich mit seiner farbenfrohen und verwackelten Ästhetik weit entfernt hat von einem „Alte-Leute-Spiel“ – und dennoch eine Kontinuität erkennen lässt zu den klassischen Vorgängerversionen der Manufakturen Altenburg oder FX Schmid.

Prüfender Blick der Experten

Vor dem Druck wurden die Karten einem finalen Expertencheck unterzogen. Liegen sie gut in der Hand? Lassen sich die Motive, Zahlen und Symbole auch im Dämmerlicht und -zustand problemlos erkennen? Schließlich gaben Wangler und Laber, die beiden Cego-Päpste, ihren Segen. Fürs Erste wurden zweitausend Kartenspiele gedruckt, die seit Oktober unter anderem in allen Tourist-Informationen im Hochschwarzwald erhältlich sind. Und kaum veröffentlicht, zählen die neuen Cego-Motive bereits zum badischen Kulturgut: Das Augustinermuseum in Freiburg – eines der bedeutendsten Museen im deutschen Südwesten – hat bereits ein Kartenset für seine Graphischen Sammlungen angefordert.

Cego-Karte "Kuckuck"

Cego-Karte "Kuckuck" © Fox Schwörer

Was hat Fox Schwörer aus dem Projekt gelernt? - Cego!

Für Fox Schwörer hatte die Sache auf jeden Fall schon einen positiven Nebeneffekt: Nach all den Jahren hat sie endlich Cego gelernt. Mit ihrem Lehrmeister Laber mithalten kann sie aber noch nicht. Sie wisse nie, wann sie steigern solle, sagt sie. „Mit mir zu spielen ist stinklangweilig.“ Von ihren neuen Cego-Karten kann man das beim besten Willen nicht behaupten.

Weitere Infos zu Fox Schwörer und dem neuen Schwarzwald-Cegoblatt unter fox-grafik.net

Wie Cego entstanden ist:

Ohne Napoleon gäbe es wohl kein Cego. Um 1806 herum tat der kleine Korse das, was er am liebsten tat: erobern. Diesmal zog er gegen Spanien in den Krieg. Um sich mit dem Imperator gut zu stellen, entsandte der badische Großherzog zwei Bataillone, unter den Soldaten waren etliche Südschwarzwälder. In den Kampfpausen oder später in Kriegsgefangenschaft vertrieben sie sich die Zeit mit Kartenspielen. Beliebt war Tarock, ein Überbleibsel aus der Zeit, als Südbaden noch zu Österreich gehörte. In Spanien lernten sie jedoch auch ein Spiel namens „L’Hombre“ kennen, das es ihnen angetan hatte. Die Besonderheit: Auf dem Tisch lag ein zunächst herrenloser Stapel, den man einbeziehen konnte. Man spielte also mit einem unbekannten Blatt – die spanische Übersetzung für „blind“ heißt übrigens „ciego“.

Durch die Kriegsheimkehrer verbreitete sich dieses Karten-Hybrid aus Tarock und „L’Hombre“ dann im gesamten badischen Raum. Die Regeln variierten von Ort zu Ort und tun dies heute noch. Mit dem Ziel der Vereinheitlichung wurde 1860 in Mannheim ein 47-seitiges Regelwerk gedruckt. Danach sei jeder fähig, Cego zu spielen – „ohne Unterschied des Geschlechts, Standes und Glaubensbekenntnisses. Ausgenommen sind jedoch: Infame, Kinder […], Wahnsinnige und Blödsinnige“. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde Cego zum beliebtesten Kartenspiel Badens. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekam es Konkurrenz durch Skat.

Mehr Informationen

  • Du willst auch mal mitspielen? 
    Die Volkshochschule Hochschwarzwald bietet im Oktober und November Cego-Kurse für Anfänger an. 
     Infos unter vhs-hochschwarzwald.de
  • Im Online-Shop: Schwarzwälder Cego
    Die limitierte Auflage der Schwarzwald Cego-Karten, von Fox Schwörer, mit bekannten Gesichtern aus dem Hochschwarzwald erhältst du hier.
     
  • Cego spielen ist Adrenalin pur
    Früher wurde landauf landab, daheim oder in den Wirtshausstuben, das badische „Nationalspiel“ Cego gespielt. Der Schauspieler und Kabarettist Martin Wangler, 44, aus Breitnau ist nicht nur ein Liebhaber des alten Kartenspiels, er engagiert sich auch für dessen Wiederbelebung.