Kirschwasserbömbchen im Hotel Hirschen in St. Märgen.

Bratwürste und Bomben

Denn wer sportelt, will spachteln
24.05.2013

von Moritz Baumstieger

Einmal durch den Hochschwarzwald, von West nach Ost: Moritz hat sich auf einen Roadtrip begeben. Auf allen Sorten Skiern, im Kanu, zu Fuß. Heute gibt es endlich was zu Essen.

Am Anfang war die Wurst. Sie war heiß, fettig und so lecker, dass mein Kiefer schneller war als mein Hirn. Es wollte den Händen eigentlich auftragen: „Handy gezückt! Und schnell ein Bild gemacht, von dieser Bauernbratwurst hier auf der Krunkelbach-Hütte!“ Denn ich wollte ja dokumentieren, was ich zu mir nehme, um ergänzend zu meiner Erkundung des Hochschwarzwalds eine kleine kulinarisch-ethnologische Feldstudie zu erstellen.

Aber wie gesagt, keine Chance. Als die Hände so weit waren, war die Wurst schon verschwunden. Und auch der Teller, auf dem sie gelegen hatte, den hat die Frau Wirtin schnell abgeräumt. Übrig geblieben waren nur der Brotkorb und ein Zuckerstreuer, der aber hatte nichts mit meinem Erstkontakt mit der berühmten Schwarzwald-Küche zu tun.

Wer sportelt, will spachteln. Am liebsten Bauernbratwurst.
Wer sportelt, will spachteln. Am liebsten Bauernbratwurst. © Moritz Baumstieger

Speckkonfetti

Der Zweitkontakt: Schinkenlastig, und deshalb auch durchaus landestypisch. In der Stube des Raimartihofs bestelle ich, kaum, dass ich meine Langlaufski an die Haustür gelehnt hatte, auf besondere Empfehlung Speckeier. Ich träume von so etwas wie mit Schwarzwälder Schinken belegten Spiegeleiern, bekommen habe ich ein mit Speckkonfetti bestreutes Omelett. Das hatte ich mir anders vorgestellt, aber das macht nichts: Schneller als der einsame Wanderer am Tisch gegenüber seinen Schnaps geleert hat, sind auch die Speckeier in mir verschwunden.

Als ich am Abend meine zweite Bauernbratwurst ähnlich schnell aufesse, die ich aber sicherheitshalber fotografiert habe, bevor ich Messer und Gabel in die Hand genommen habe, traue ich mich, eine erste These zu formulieren:

Das Schwarzwald-Essen schmeckt so gut, weil:

  1. viel Wurst und
  2. viel Schinken drin ist. Beides mag ich sehr gern.
  3. Außerdem sorgt der Hochschwarzwald dafür, dass man kräftigen Hunger hat. Wer sportelt, will spachteln.

Und das am besten gleich mehrmals am Tag. Denn neben Wurst und Schinken und Schinken und Wurst bietet der Hochschwarzwald ja noch andere Spezialitäten: Solche mit Sahne und Kirschen und Schokolade. Meine erste Hochschwarzwälder Kirschtorte gab es im plüschigen Omacafé „Unmüßig“ in Hinterzarten und löste genau den selben Effekt aus wie die erste Bauernbratwurst: Sehr lecker, sehr bekömmlich, aber leider unmöglich zu fotografieren. Sie ist sehr scheu und verschwindet deshalb schnell. Deshalb habe ich einfach noch ein zweites Stück bestellt, diesmal keine Schwarzwälder Kirschtorte, sondern eine sogenannte Sahnetorte mit Brandteig und Kirschen. Auch sehr lecker und nicht ganz so scheu. Was vielleicht daran liegt, dass nach den 600 Kilokalorien des ersten Stücks Schwarzwaldglück die Kuchengabel dann doch etwas schwerer in der Hand liegt.

Sahnetorte mit Brandteig und Kirschen im Café Unmüßig in Hinterzarten.
Sahnetorte mit Brandteig und Kirschen im Café Unmüßig in Hinterzarten. © Moritz Baumstieger

Kleine Erweiterung der These also: So viel Hunger, dass man alles probieren könnte, macht selbst der Hochschwarzwald nicht. Was weniger an ihm liegt, als am begrenzten Fassungsvermögen des Besuchers.

 Verstecken in den Zahn-Zwischenräumen

Nächster Tag, nächste Stichprobe: Schäufele in Löffingen. Ein sehr lange gekochtes Stück Schweineschulter, das zuvor gepökelt wurde und sich davon auf einem Bett aus Sauerkraut und Schupfnudeln ausruht. Im Nachhinein muss ich sagen: Von mir aus hätte es da liegen bleiben können. Fleisch und Sauerkraut weigern sich, runtergeschluckt zu werden und spielen Verstecken in den Zahn-Zwischenräumen. Die Schupfnudeln sind zu faul zum Suchen und kleben einfach nur an den Zähnen. Einen ganzen Liter Tannenzäpfle-Bier braucht es, um die ganze Bagage runterzuspülen, und siehe da: Plötzlich bin ich doch noch glücklich. Dieses Bier – da kann ich auch als Münchner nicht meckern. Im Gegenteil.

Schäufele: Ein sehr lange gekochtes Stück Schweineschulter, das zuvor gepökelt wurde und sich davon auf einem Bett aus Sauerkraut und Schupfnudeln ausruht.
Schäufele: Ein sehr lange gekochtes Stück Schweineschulter, das zuvor gepökelt wurde und sich davon auf einem Bett aus Sauerkraut und Schupfnudeln ausruht. © Moritz Baumstieger

Schon wieder muss die These erweitert werden: Das Schwarzwald-Essen schmeckt so gut, weil viel Wurst und Schinken und Fleisch drin ist – und weil zur Not das Bier die Sache rausreißt, wenn es mal nicht so gut schmeckt.

Kirschwasserbömbchen

Trommelwirbel für das Finale, jetzt wird es spektakulär: Bombenalarm! Obwohl ich durchaus gerne viele Sachen gleichzeitig erledige (Der Tag! muss!! ausgenutzt werden!!!), war ich erstmal etwas skeptisch, als ich das Dessert mit dem schönen Namen „Kirschwasserbömbchen“ das erste Mal serviert bekam. Erstens bin ich hier ja im Urlaub, muss also gar nichts gleichzeitig erledigen. Und zweitens mögen die Schwarzwälder für vieles bekannt sein, nur nicht für Multitasking und Eile: Ihre Kuckkucks-Uhren basteln sie mit extremer Ruhe zusammen, ihre Schinken müssen ewig reifen und selbst, wenn sie die längste Skiabfahrt der Welt bewältigen wollen, halten sie zwischendrin an einer Schnasptankstelle.

Kirschwasserbömbchen im Hotel Hirschen in St. Märgen.
Kirschwasserbömbchen im Hotel Hirschen in St. Märgen. © Moritz Baumstieger

Und nun also dieses Kirschwasserbömbchen: Ist Nachtisch und Verdauungs-Schnaps in einem, zumindest riecht es sehr scharf. Gleichzeitig ist es noch fast eine Schwarzwälder Kirschtorte, die Hauptzutaten sind alle enthalten. Fehlt eigentlich nur noch eine integrierte Verdauungs-Zigarette samt Espresso, dann wäre das Multi-Pack perfekt. Dann wäre aber auch der himmlische Geschmack zerstört, den die Kirschwasserbombe in meinem Mund zündet: Der Alkohol bitzelt und die Kirschen kreischen, bis das schmelzende Parfait seine weiche Sahnedecke darüberlegt.

Die These muss also abschließend heißen: Das Schwarzwald-Essen, von dem man leider nie alles aufessen kann, schmeckt so gut, weil der Hochschwarzwald Hunger macht. Und weil viel Wurst und Schinken und Fleisch in ihm enthalten ist. Falls es mal nicht so gut ist, sorgt das Bier dafür, dass es trotzdem gut ist. Oder eine Überraschung: Zum Beispiel bei der Alkoholkontrolle, bei der man den Beamten guten Gewissens sagte, wirklich nur einen Nachtisch gegessen zu haben.