Langlaufen mag ich nicht. Das ist ein Rentnersport - Jetzt bin ich vom Gegenteil überzeugt.

Alte Lok auf neuen Gleisen

"So isch des"
16.05.2013

von Moritz Baumstieger

Einmal durch den Hochschwarzwald, von West nach Ost: Moritz hat sich auf einen Roadtrip begeben. Auf allen Sorten Skiern, im Kanu, zu Fuß. Heute: Wie mich ein Rentner im Rentnersport schlug – und sich als Olympia-Sieger entpuppte.

Bis zu meinem Besuch im Hochschwarzwald glaubte ich an zwei Gewissheiten, die ich für so unverrückbar hielt wie den Feldberg mit all seinen schweren Türmen obendrauf. Die erste war: Richtig bergauf und bergab geht es nur in den Bergen. Also in den richtigen Bergen, den Alpen. Die zweite Gewissheit war: Langlaufen mag ich nicht. Das ist ein Rentnersport.

Das letzte Mal ist schon eine Weile her

Dass Nummer eins ein Vorurteil war, habe ich schon am Herzogenhorn und auf der längsten Piste des Universums gelernt. Bis Gewissheit Nummer zwei zerbröckelt, dauert es dann ein wenig. An der Haltestelle Rinken angekommen, könnte ich zwar sofort in die Loipe steigen, die mich einmal um den Feldsee herum, am Gasthaus Raimartihof mit seinen leckeren Speckeiern vorbei und dann all die Höhenmeter hinunter nach Hinterzarten führen soll, die der Bus gerade hochgeschnauft ist.

Nur: Ich komme nicht in die Bindung. Das letzte Mal stand ich vor 20 Jahren auf Langlaufski, damals hat mir Papi netterweise die Skier an den Schuhen festgemacht. Während er vor mir kniete, schimpfte ich all das auf seinen Rücken hinunter, was mich am Langlaufen störte: Es ist unnötig anstrengend. Und langweilig. Vor allem aber: Man ist auf eine vorgegebene Spur reduziert, so wie eine Lok auf ihre Gleise. Ich konnte das als Zehnjähriger noch nicht so gut ausdrücken, aber im Prinzip wollte ich sagen: Stur einer festgelegten Loipe zu folgen passt nicht in unser individualistisches Zeitalter. Sondern eher zu der Generation, die gerne schunkelt und klatscht, streng im Takt natürlich.

Die gute alte Lok Baumstieger. Oder zumindest ihr Schatten.
Die gute alte Lok Baumstieger. Oder zumindest ihr Schatten. © Moritz Baumstieger

Heute schimpfe ich das nicht auf Papis Rücken hinunter, ich bemühe mich, gar nicht zu schimpfen. Vor mir kniet nämlich eine nette Dame, neben mir die einzige Passagierin im Bus und deshalb die Person, die mir den Schuh in die Bindung einfädeln kann. Klappt auch nach fünf Versuchen.

Wie ein ICE auf der Sprinter-Strecke oder doch eher eine alte Lok?

Auf den ersten 500 Metern sause ich dann dahin wie ein ICE auf der Sprinter-Strecke. Und bin begeistert. Anstrengend? Kein bisschen. Das einzige, was an eine Lok erinnert, sind meine Stöcke. Die flitzen vor und zurück, so wie diese Streben, die bei alten Zügen die Kraft auf die Räder übertragen. Und die Loipen-Gleise sind auch von Vorteil. Ich kann mich umgucken, ohne wie gestern irgendwo gegenzulaufen. Die Loipe biegt nach rechts ab, in Richtung Feldsee. Ein Feldseehase sitzt in der Kurve und guckt neidisch. So schnell kann nicht mal er hoppeln.

Kann er doch. Das zeigt sich ein paar Meter weiter, als es mit der freien Fahrt vorbei ist. Plötzlich geht es bergan. Der Hase zieht lässig an mir vorbei. Mir kommt es so vor, als hätte er ein mitleidiges Lächeln im Gesicht.

Jetzt fällt mir wieder ein, warum ich vor 20 Jahren auf die Metapher mit der Eisenbahn gekommen bin: Ich schnaufe wie ein D-Zug und dampfe wie eine alte Lok, so sehr schwitze ich bald. Wald und Wiesen hüllen sich im Nebel. Liegt das an meinen Ausdünstungen? Das versprochene Gasthaus will auch nicht kommen. Es geht weiter bergan, noch steiler.

Wo, bitte schön, ist hier das Gasthaus? Blöder Nebel, noch eine Runde.
Wo, bitte schön, ist hier das Gasthaus? Blöder Nebel, noch eine Runde. © Moritz Baumstieger

Schwarzwälder Skigott, Olympiasieger und Regionalheiliger

Anstatt zu flitzen, schlurfe ich nunmehr vor mich hin. Zumindest, bis sich von hinten eine Gestalt nähert, Meter um Meter aufholt, schließlich lässig neben mir herfährt. Nicht der Hase, sondern ein Rentner. Ich verweise auf 20 Jahre Langlauf-Abstinenz und darauf, dass ich wohl noch mal an meiner Technik feilen muss.

„Macht doch nix. Bischt an der frischen Luft. Und die ist gesund. So isch des“, sagt der Rentner.

Er laufe jeden Tag mindestens eine Runde. Und mache Skitouren. Und fahre Rad. Und sei nebenbei 75 Jahre alt. „So isch des.“
Ich schnaufe etwas Unverständliches.

„Thoma, Georg heiße ich“, sagt der Mann. „So isch des.“

Der Thoma Georg von hinten. Ganz schön schnell ist der, so isch des.
Der Thoma Georg von hinten. Ganz schön schnell ist der, so isch des. © Moritz Baumstieger

Mir kommt so vor, als würde der Mann auf eine Reaktion warten. Ich bin aber zu sehr außer Atem. Der Mann verabschiedet sich und zieht vorbei. Kurz später: Infotafel. Ich stelle fest, dass ich im Nebel wohl keine zehn Meter am Gasthaus vorbeigesaust bin. Also noch eine Runde, bevor es dann runter nach Hinterzarten geht.

Während ich am Kachelofen des Raimartihofs auf meine Speck-Eier warte, klärt mich ein Einheimischer auf, wen ich da getroffen habe: Georg Thoma, ehemaliger Hirtenbub und olympischer Sieger in der Nordischen Kombination, amtierender Schwarzwälder Skigott und Regionalheiliger.

Ein Rentner hat mich im Rentnersport geschlagen. Aber – ha! – es war ein Goldmedaillen-Gewinner.

So isch des.

Der Thoma Georg noch einmal von vorne. Aufgenommen einen Tag später, im Skimuseum.
Der Thoma Georg noch einmal von vorne. Aufgenommen einen Tag später, im Skimuseum. © Moritz Baumstieger