Fingerhut und Feldsee
Einmal durch den Hochschwarzwald, von Süd nach Nord: Moritz hat sich auf einen Roadtrip begeben. Auf allen Sorten Rädern, im Kanu, zu Fuß. Heute: Ein Tümpel ohne Wasser, ein Weiher mit frechen Fischen und ein nüchternes Drogenerlebnis am Feldsee.
Am Ende war ich mir nicht mehr sicher: Hatte ich vielleicht ein wenig von diesem sehr bunten, aber auch sehr giftigen Fingerhut-Gewächs gegessen, das da am Anfang meiner Wanderung am Wegesrand wuchs?
Also versehentlich, waren mir vielleicht ein paar Blütenblätter in den Mund geweht? Oder unten am Brotlaib festgeklebt, als ich den bei der Vesper kurz neben mich ins Gras gelegt hatte?
Ein Trip ins Märchenland
Denn, ganz ehrlich: Nach einer Stunde an diesem See – kreisrund, flaschengrün und unter wilden Felswänden gelegen – da kann man schon zweifeln, ganz bei Sinnen zu sein. Nach einer Stunde an diesem Feldsee – von Blumen umwachsen, von der Sonne in goldenes Licht getaucht und spiegelglatt – da kann man sich schon fragen, ob das noch Realität sein kann. Oder ob man nicht unabsichtlich auf einem Trip ins Märchenland gelandet ist.
Als ich morgens in Hinterzarten meinen schweren Rucksack für die Zwei-Tagestour mit Hüttenübernachtung aufsetzte, da war ich ganz sicher noch ganz nüchtern. Den Weg, der mich an zwei Weihern vorbei zum Raimartihof und später zum Feldsee bringen sollte, habe ich sofort gefunden.
Und auch sonst war alles normal: Die Vögel sangen mir ein lustiges Wanderlied, ich pfiff dazu, vielleicht ein wenig schief. Die Bäume im Wald spendeten angenehmen Schatten. Dass an der Stelle, an der auf der Karte der erste Weiher sein sollte, nur ein großes schlammiges Loch war, hat mich nicht sonderlich gewundert. Zwei Arbeiter und ein Bagger waren damit beschäftigt, den Boden des Sees von all dem zu befreien, was im Laufe der Jahre hineingespült wurde. Dass man dazu das Wasser ablässt, ist ja logisch.
Und auch, als ich wenig später am Mathisleweiher den Rucksack wieder absetzte, um einen Teil der schweren Brotzeit in den Bauch umzuschichten, dachte ich noch, dass alles mit rechten Dingen zu geht. Natürlich ist es nicht alltäglich, dass viele dicke Fische angeschwommen kommen und die frechsten von ihnen anfangen, einem am schwitzigen großen Zeh zu kitzeln und zu knabbern, wenn man den ins Wasser hält. Aber um Alltägliches zu erleben, bin ich ja auch nicht in den Hochschwarzwald gekommen.
Die Ramselehöhe mit dem schönen Ausblick, der Weg durch den Gschwendewald – alles toll. Ab und zu kommen andere Wandersleute entgegen, man grüßt sich, ratscht ein wenig. Und wenn man sie auf seine Landkarte gucken lässt, kriegt man mit etwas Glück Nektarinen geschenkt. Die Anhöhe über dem Raimartihof, der leckere Apfelkuchen auf dessen Terrasse – alles wunderbar. Die ebenfalls sehr leckeren Galloway-Rinder, die dem Wirt gehören, jetzt auf der Weide und ab und zu bei ihm auch auf der Karte stehen, sehen mit ihrem lockigen Haar putzig aus. Der schattige Weg zum Feldberg – nett, mit dem lustig sprudelnden Seebach daneben.
Hier ist etwas seltsames im Gange
Aber dann: der Feldsee. Hier muss irgendetwas seltsames im Gange sein, das zeigt ein Schild gleich an seinem Ufer. Baden verboten, und zwar wegen, jetzt kommt's: dem Stachelsporigen Brachsenkraut. Ein Unterwasserfarn aus der letzten Eiszeit, der nur hier und im Titisee wächst. Als ich das gelesen habe, dachte ich das erste Mal, dass ich jetzt vielleicht gerade Visionen habe.
Andererseits: Der Feldsee liegt in einem tiefen Krater, um ihn herum erheben sich die steilen Hänge des Feldberges. Dass Brachsenkräuter, und zwar stachelsporige, hier in den letzten 10.000 Jahren den idealen Schutz gefunden haben, leuchtet mir sofort ein. Und dass Luftschnapper wie ich den Unterwasserfarn nicht kaputt trampeln sollten, nur weil sie ein wenig Abkühlung brauchen, nach kurzem Nachdenken auch.
Das vergessene hintere Ufer
Auch aus einem weiteren Grund habe ich mit dem Badeverbot kein Problem: So stören wenigstens keine anderen Badegäste das wunderschöne Feldsee-Bild, niemand planscht im Wasser. Ich laufe einmal um den See herum, zum hinteren Ufer. Vorne waren wenige Leute, hier ist abgesehen von einem Mountain-Biker-Pärchen niemand. Ich lege mich ins Gras, hoffe, dass das Stachelsporige Brachsenkraut wirklich nur Unterwasser wächst. Den Kopf habe ich auf den Rucksack gelegt. Der Wind pfeift ein wenig in den Bäumen hoch oben am Krater, sonst ist es ganz still.
Meine Augen habe ich halb geschlossen, aber durch die Schlitze sehe ich noch genug, um zu begreifen, dass die Szenerie hier am Feldsee fast surreal ist: Wenn jetzt Frodo aus „Herr der Ringe“ hinter einem Baum hervorkommen würde, es täte mich nicht wundern. Wenn jetzt eine Schwarzwald-Hexe auf ihrem Besen eingeflogen käme und ein paar Runden über dem See drehen würde, ich würde ihr einfach winken. Und wenn sich jetzt einer der späten Beatles neben mich setzen und mir erklären würde, dass ihn Indien und LSD vollkommen kalt lassen, seit er den Fingerhut und den Feldsee entdeckt hat, ich würde wissend nicken.
Ganz real nicke ich jedoch zunächst nur ein wenig ein. Als ich nach einer Viertelstunde wieder aufwache, zeigt ein Blick auf die Uhr, dass ich eigentlich weitergehen sollte. Das Ziel heute ist die Baldenweger Hütte, eine Stunde ist es noch zu laufen. Und bald wartet dort der Jan, der nach Feierabend schnell hinauf sprinten wollte. Ach was. Soll er warten.